Binnenschiffe – schwimmendes Kulturgut

Ist die Kultur der Binnenschiffe nur ein Fall für die touristische Vermarktung und „Museumifizierung“? Nein, es gibt durchaus positive Entwicklungen im Sinne einer kulturellen Wertschätzung.

REDAKTION: PETER BAUMGARTNER.

Anders als in Österreich, gibt es in Europa und weltweit zahlreiche Beispiele, wo sich die Politik und die Öffentlichkeit bewusst sind, dass das kulturelle Erbe nicht bei ein paar erhaltenswerten Ruinen endet. Die Charta von Venedig (1964), gilt als zentrale und international anerkannte Richtlinie in der Denkmalpflege und als wichtigster denkmalpflegerischer Text des 20. Jahrhunderts. Sie legt zentrale Werte und Vorgehensweisen bei der Konservierung und Restaurierung von Denkmalen fest. Allerdings ohne Bezug auf Wasserfahrzeuge.

Erst die „Charta von Barcelona“ (2002) regelt europaweit gültige Mindeststandards für die Erhaltung und Pflege von in Betrieb befindlichen historischen Wasserfahrzeugen. Der Begriff des schwimmenden maritimen Erbes umfasst sowohl das einzelne historische Wasserfahrzeug, das von einer ihm eigentümlichen Kultur einer bezeichnenden Entwicklung oder einem historischen Ereignis Zeugnis ablegt, wie auch traditionellen Schiffsbetrieb, Seemannschaft oder maritimes Handwerk (Artikel 1). Dieses gilt sowohl für größere Schiffe wie auch kleinere historische Wasserfahrzeuge, die im Laufe der Zeit eine kulturelle Bedeutung erlangt haben. Ziel der Erhaltung (Artikel 3) und Restaurierung von historischen Wasserfahrzeugen in Fahrt, ist ebenso die Erhaltung des Kunstwerkes wie die Bewahrung des geschichtlichen Zeugnisses oder traditioneller Kenntnisse und Fähigkeiten. Dies ist eine gute Grundlage für Staaten, denen auch das Schiff als Kulturgut wichtig ist. Zur Verbesserung der gültigen Regeln und zur leichteren Übersicht, sollte es aber zumindest eine Unterteilung Hochsee- und Binnenschifffahrt geben.

Trotz aller Bemühungen von Vereinen und Privatpersonen, kommen historische Binnenschiffe immer wieder in Gefahr, dass sie aus unterschiedlichen Gründen ihre Existenz verlieren könnten. Jüngstes Beispiel ist die Dampferflotte in Dresden, die weltweit einige der einzigartigsten, aktiven schwimmenden Kulturgüter hat. Angeführt vom Dampfer DIESBAR (1884), dessen Maschine aus dem Jahr 1841 noch immer mit Kohle befeuert wird. Der Dampfer DRESDEN (1925) begeisterte Kim Il Sung derart, dass er das Schiff originalgetreu für den Fluss Taedong-gang nachbauen ließ. Der „jüngste“ Dampfer, LEIPZIG, stammt aus dem Jahr 1929 und der älteste Dampfer, die STADT WEHLEN (1879), fährt sogar noch immer mit der originalen Dampfmaschine. 1836 gegründet überstand die Dresdner Reederei neben zwei Weltkriegen, Wirtschaftskrise, Teilung und Wiedervereinigung Deutschland, zahlreiche Höhen und Tiefen. 2020 schien das Ende der Reederei besiegelt und die Zukunft der Flotte war längere Zeit ungewiss. Doch wie so oft in der Binnenschifffahrt „kommt von irgendwo ein Lichtlein her“. Wie es aktuell aussieht, kann die großartige und geschichtsträchtige Flotte dank tatkräftiger Investoren weiterhin auf der Elbe fahren.

In der Schweiz verkehren heute mehr öffentlich zugängliche Raddampfer als in jedem andern Land weltweit. Auf praktisch jedem namhaften Gewässer erfreut mindestens ein historisches Schiff die Gäste gleichermaßen wie die Einheimischen. Ausgerechnet in diesem Mekka für historische Binnenschiffe hat es sich ein Verein zum Ziel gesetzt, einen historischen Dampfer neu zu bauen und zu betreiben. Inzwischen hat der Verein Pro Dampfer, er wurde 2012 in Stein am Rhein gegründet, schon weit über 2000 Mitglieder und das ambitionierte Projekt befindet sich bereits in der Planungsphase. Aber bis man die erforderlichen 12 Mio. Franken für den Bau des Schiffes beisammen hat, wird noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen.

Bereits hinter sich hat diese Untiefen ein bulgarischer Verein, der ebenfalls ein historisches Binnenschiff nachgebaut hat. Der österreichische Donaudampfer RADETZKY (Baujahr 1851), angetrieben natürlich auch von einer Escher Wyss Dampfmaschine, wurde schon 1913 verschrottet. Mit dem Schiff landete aber leider ein Stück geopolitische Donaugeschichte am Schrotthaufen. Auf der Strecke blieb eine Geschichte, die jedenfalls auch ein geschichtliches Erbe Österreichs ist. In der Nacht vom 16. Auf den 17. Mai 1876 kaperten bulgarische Freiheitskämpfer unter der Führung von Hristo Botev den Dampfer in Rumänien, wo sie zunächst unerkannt an Bord gelangten. Der Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän Dagobert Engländer bekam den Befehl, die Kämpfer nach Bulgarien zu führen, wo sie in Kosloduj wieder von Bord gehen wollten, um ihren Plan, die Befreiung Bulgariens von der türkischen Herrschaft, zu erfüllen. Wie die Geschichte endete ist bekannt.

Für Bulgarien ist das Schiff RADETZKY – benannt nach dem berühmtesten Heerführer Österreichs, jedenfalls auch Teil seiner Geschichte. Deshalb wollte man das Schiff zunächst erhalten. Die Erhaltung scheiterte jedoch, nach bulgarischer Auslegung, am Willen Österreichs. Deshalb hat man das Schiff in Bulgarien mit Unterstützung von 1,2 Mio. Kindern, die das nötige Geld sammelten, originalgetreu nachgebaut und 1966 feierlich als historisches Landesmuseum in Kosloduj eröffnet. Seit 1982 ist das Dampfschiff Nationalmuseum und steht in der Liste der 100 nationalen Sehenswürdigkeiten – in Bulgarien, nicht in Österreich.

Wie immer, wenn es um das Thema Schifffahrt geht, spielt natürlich England eine führende Rolle. So auch beim Thema historische Schiffe. Anders als in viele anderen Fällen, ist die historische Schifffahrt in Großbritannien keine reine Vereinsangelegenheit, sondern Teil der britischen Kulturpolitik, weil bestimmte Schiffe ein wichtiger Teil des britischen Erbes sind.

Derzeit befinden sich 1.300 Schiffe im National Register of Historic Vessels. National Historic Ships UK ist eine von der Regierung finanzierte, unabhängige Organisation, die den Regierenden des Vereinigten Königreichs, lokalen Behörden und den Förderorganisationen objektive Beratung in allen Fragen im Zusammenhang mit historischen Schiffen zukommen lässt. Die Ziele der Organisation sind umfassend. So soll nicht nur die Öffentlichkeit sensibilisiert und gefördert werden, auch die professionelle Beratung für die Schiffseigner, zum Beispiel bei Erhaltungsarbeit, ist ein wichtiges Anliegen.

Beispielgebend für eine sinnstiftende Denkmalpflege könnte auch der französische Verband l’association Patrimoine Maritime et Fluvial sein. Die Spuren der maritimen Geschichte, Tradition und Vergangenheit bewahren, ist das Ziel der Vereinigung. European Maritime Heritage (EMH) in den Niederlanden ist eine Nichtregierungsorganisation und ein weiteres Beispiel dafür, wie schwimmende Kulturgüter wirksam unterstützt werden können. Und selbst kleinere Organisationen leisten oft unschätzbare Arbeit. Zum Beispiel der Verein Historische Binnenschifffahrt, der die Fahrtüchtigkeit eines ganz außergewöhnlichen Binnenschiffes fördert.

Sein Name ist WILLI, eine ehemalige „Peniche“, die schon 1909 gebaut wurde. Das Schiff kann mit ein paar besonderen Eigenschaften punkten. Ursprünglich hatte der genietete Schiffskörper keinen eigenen Antrieb, sondern fand als Treidel – und Schleppkahn Verwendung. Erst 1961 wurde das Schiff motorisiert. Inzwischen ist das Schiff in ganz Europa bekannt und geliebt. Es ist zu hoffen, dass der Verein genug Unterstützer auftreiben kann, damit WILLI noch lange in Betrieb bleibt (historische-binnenschifffahrt.com).

Christiane Brosius, Professorin am Heidelberger Centrum für Transkulturelle Studien (HCTS), tritt dafür ein, dass Kulturerbe besser dokumentiert werden muss. Der Verlust durch Zerstörung, sagt sie, kann verteidigende Schutzreaktionen auslösen, wie man das immer wieder in Kriegszeiten oder nach Naturkatastrophen sieht. Bei Binnenschiffen laufen die Schutzbemühungen eher ohne öffentliche Wahrnehmung ab und werden oft nach Jahren erfolglos aufgegeben.

Einen Kulturerbe-Aktivismus gibt es kaum. Eine bessere Dokumentation und eine, wie Brosius meint, notwendige Differenzierung zwischen Kulturerbe und kultureller Hinterlassenschaft, könnte auch der historischen Binnenschifffahrt dienen. Damit das historische Wissen um die Binnenschifffahrt künftig für Innovationen taugt und womöglich sogar Antworten auf gegenwärtige Probleme liefert, darf sich die Erinnerungskultur nicht allein auf touristische Vermarktung und „Museumifizierung“ (Brosius) beschränken. (PB)

Quelle: Binnenschiff Journal 5/2020

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