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Cargo makes the world go down

Wasserwege können viel – sie sind Multitalente. Um diese Potenziale zu heben, bedarf es einer Strategie der Multicodierung. Dabei werden sektorale Interessenlagen zusammengeführt, überlagert und miteinander verknüpft. Das Multitalent Wasserweg ist damit eine Gemeinschaftsaufgabe von vielen Akteuren. Eine nicht einfache Aufgabe, aber es lohnt sich sie in Angriff zu nehmen (IWI-World Canals Conference).

Text: Peter Baumgartner

Beitragsbild Quelle: ITF

Jedes Jahr im Mai treffen sich die Verkehrsminister, Wirtschaftsführer, Leiter internationaler Organisationen, Parlamentarier und politische Entscheidungsträger, Vertreter von Wirtschaftsverbänden und führende Forscher für drei Tage unter der Glaskuppel in Leipzig zum Dialog, um über die Zukunft des Verkehrs zu diskutieren. Es ist ohne Übertreibung ein Aufmarsch der Verkehrskompetenz schlechthin, wie es ihn sonst nirgendwo auf der Welt gibt. Über 1400 Teilnehmer aus mehr als 80 Ländern der Erde, haben beim Treffen in Deutschland ein gemeinsames Ziel: Sie bestimmen den Kurs der Verkehrs- und Transportpolitik. Der Veranstalter, das Internationale Transport Forum, angesiedelt bei der OECD, ist eine zwischenstaatliche Organisation mit mittlerweile bereits 64 Mitgliedsländern. ITF ist sozusagen der Think Tank für die weltweite Verkehrspolitik. Sogar Russland und Belarus sind noch Mitglied in der Runde. Trotz Mord und Kriegsverbrechen in der Ukraine, konnte man sich bisher im ITF nicht zu einem völligen Ausschluss der beiden Kriegstreiber entschließen. Man könnte auch den Eindruck gewinnen, Leipzig ist im Mai alljährlich der Hot Spot für Lobbyisten im Verkehrs- und Transportbereich. Vorsorglich verweist der ITF auf seine politische Autonomität und lässt sich dennoch von großzügigen Sponsoren der Privatwirtschaft finanzieren ohne dabei Gefahr zu laufen, in den Dunstkreis der Vorteilsnahme zu geraten. Aber spätestens seit Covid-19 weiß man, die „Kontaminationsgefahr“ ist bei Massenveranstaltungen besonders hoch.

Prognosen, die der ITF Kraft seiner Kompetenz aufstellt, sind quasi selbsterfüllend. Deshalb ist der Verkehr auch das, was er nicht sein sollte – ein weltweites Desaster. Seit Jahren verkünden die Verkehrsminister nach Abschluss der Veranstaltung, was alles notwendig ist und getan werden muss, damit der Verkehr ökologisch sinnvoll und sozial wirksam wird. Machen tun sie dann das Gegenteil davon. Anlässlich des enttäuschenden IPPC-Reports hat UN-General António Guterres im April gesagt: “Some government and business leaders are saying one thing – but doing another. Simply put, they are lying.” Beim Namen hat er die Lügner nicht genannt. Es sind zu viele. Von solchen Einzelmeinungen lässt sich das Transportforum auch gar nicht beeindrucken. Unbeirrt liefert es zum Beispiel den NGOs Kritikpotential, das diese ständig auf Trab hält. Mit „Cargo makes the world go down”, hat Attac und Robin Wood in diesem Jahr das Verkehrsforum zornig begleitet. „Down“ sind wir zwar noch nicht, aber nicht mehr weit davon entfernt. Robin Wood ist beim Verkehrsforum sprichwörtlich sogar „auf die Palme“ (Kamin des Messe-GasKWs) gestiegen.

Robin Wood erklimmt den Messeturm in Leipzig der gleichzeitig Kamin für das Gaskraftwerk ist, mit dem die energiehungrige Messe versorgt wird. Quelle: Robin Wood

ITF behauptet von sich, die einzige globale Einrichtung zu sein, die alle Verkehrsträger abdeckt und zum breiten Wissen für einen besseren Verkehr beiträgt. Die Binnenschifffahrt wird in den vielfältigen Veranstaltungen, Diskussionen und Beschlüssen jedoch regelmäßig ausgeklammert. Das Ergebnis ist wie zu erwarten, nur in ganz wenigen Ländern der Erde hat die Binnenschifffahrt in der Verkehrspolitik jenen Stellenwert, der ihr angesichts der globalen Herausforderungen zukommt. Selbst in Ländern mit guter Infrastruktur und Anbindung an das internationale Wasserstraßennetz, ist das Binnenschiff kaum am Gesamttransport beteiligt. Das gilt für den Cargo- und Personentransport gleichermaßen. Auf dem Gipfel 2022 wurde untersucht, wie innovative Technologien und Geschäftsmodelle im Verkehrssektor soziale Inklusion ermöglichen und gleichzeitig ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum fördern können. Die Diskussionen haben sich auf aktuelle und neu auftretende Themen konzentriert, die für einen integrativen Verkehr relevant sind, einschließlich der physischen und sozialen Dimensionen der Zugänglichkeit, der neuen Mobilität und der Förderung von Widerstandsfähigkeit und Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt im Verkehrssektor. Wieder war die Binnenschifffahrt kein Thema, obwohl gerade die Binnenschifffahrt vielerorts für wenig mobile Personen überhaupt die einzige Möglichkeit ist, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Auch die in der Flusskreuzfahrt ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse und die innovativen Chancen der Binnenschifffahrt für den ÖPNV – alles kein Thema für das „wichtigste“ Verkehrsforum.

Schwertransport auf der „unwichtigen“ Saale. Quelle: Saalefreunde

Dennoch, die Medien rapportieren brav die Sprechkörner des Forums und Deutschland ist mit der Stadt Leipzig besonders stolz darauf, als Gasgeberland für eine Organisation auftreten zu dürfen, die eigentlich nur „Lügner“ (Guterres) vereint. Aber vielleicht fühlen sich die Verkehrsexperten der Welt gerade deshalb in Deutschland willkommen, weil sie dort die Verkehrspolitik vorfinden, die sie selber fördern. Auch in Deutschland spielt die Binnenschifffahrt nämlich längst nicht die Rolle, die sie spielen könnte. Gerade in Sachsen, in und um Leipzig hat die deutsche Verkehrspolitik gezeigt, wie man erfolgreich Transportverlagerung von der Straße auf die Wasserstraße verhindern kann. Leipzig leistet sich den einzigen Industriehafen in Deutschland, der eigentlich nur den Fischern und Bootstouristen nützt. Der 2016 unter dem Autominister Alexander Dobrindt beschlossene Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2030 stellt als wichtigstes Instrument der Verkehrsinfrastrukturplanung des Bundes die verkehrspolitischen Weichen für einen Zeitraum von etwa 10 bis 15 Jahren – und ist somit eine Planwirtschaft in der Marktwirtschaft. Angeblich wurden die im neuen Bundesverkehrswegeplan bewerteten Vorhaben einer Nutzen-Kosten-Analyse unterzogen und zusätzlich umwelt- und naturschutzfachlich, raumordnerisch und sogar städtebaulich beurteilt. Die dem zugrundeliegende Kategorisierung der Wasserstraßen hat zum Beispiel dazu geführt, dass allein auf der Saale mehr als zwei Mio. Transporttonnen/Jahr vertrieben wurden. In Wahrheit hat man sich nämlich bei der Kategorisierung und Prioritätenreihung nach dem aktuellen Transportvolumen orientiert und nicht etwa nach dem wirtschaftlichen Nutzen oder den ökologischen Befindlichkeiten. Tonnen statt Nutzen und Umwelt lautet die Gleichung, die dem BVWP-2030 zugrunde liegt. Egal ob es sinnvoll ist oder nicht – viel muss es sein.

Leipzig isoliert und abgeschnitten vom internationalen Wasserstraßennetz. Quelle: Elbeallianz

Vor fast 180 Jahren schrieb der sächsische Pionier Karl Heine, Wegbereiter für den Karl-Heine-Kanal mit der Vision „Von der Elster an die Alster“ seine Dissertation „Über die wirtschaftliche Nutzung von Wasserwegen und deren Ufer nach sächsischem Landesrecht“. Gelesen haben die heutigen Verkehrsexperten diese Arbeit wohl nicht. Heine wird zwar noch überall verehrt, seine Vision bleibt dennoch eine Illusion und die „Wasserstadt Leipzig“ inmitten des Neuseenlandes abgeschnitten vom internationalen Wasserstraßennetz.

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