Das Gehirn des Monsters

Che Guevara hatte Glück. Mit Jean Ziegler fand er einen gebürtigen Schweizer, der in der Lage und bereit ist, gegen das, seiner Meinung nach, in der Schweiz angesiedelte Monstergehirn zu kämpfen. Während Che für seine Ideale ermordet wurde, ernannte man Ziegler zum Landesverräter und trieb ihn in den wirtschaftlichen Ruin.

Text: Peter Baumgartner

Gefährlich ist es also nicht nur für Freiheitskämpfer auf der Welt, sondern auch für ganz normale Demokraten. Sogar in der Schweiz. Immerhin gilt da noch der Artikel 47 im Bankgesetz, wonach man sehr schnell für Jahre hinter Gitter landet, wenn man monetäre Machenschaften aufdeckt. Man muss sich also schon gut überlegen, was man in oder über die Schweiz schreibt, wenn man unbehelligt bleiben möchte. Beschränken wir uns also zunächst darauf, was schon bekannt und veröffentlicht ist (aufdecken kann man immer noch – später). Neben der absoluten Unantastbarkeit der Schweizer Finanzpolitik gibt es noch ein zweites No-Go und das heißt, den „guten Ruf“ der Schweiz ruinieren zu wollen. Den guten Ruf in der Welt, den wollen die Schweizer nicht aufs Spiel setzen, denn da nehmen sie nicht ohne Stolz den ersten Rang für sich in Anspruch – auch wenn es den Spitzenplatz dank hoher Bewertungen von Russland und anderen Schurkenstaaten gibt (Imagemonitor 2018).

„Angriffe“ auf die Schweizer Flagge passieren dennoch immer öfter und haben jetzt in Bezug auf die Schifffahrt das Fass zum Überlaufen gebracht. Sowohl in der See- wie auch in der Binnenschifffahrt, haben ständig negative Meldungen den Eindruck entstehen lassen, dass ausgerechnet das Binnenland Schweiz einen wesentlichen Anteil an den bekannten unsauberen Machenschaften in der Schifffahrt zu verantworten hätte. Der Klabautermann steht an Deck! Confoederatio Helvetica (CH) ist alarmiert.

Tatsächlich ist die Schweiz eine Seefahrtsnation, wie das neue Buch der Juristen Kathrin Betz und Mark Pieth bestätigt. Das mag jedoch nur auf dem ersten Blick verwundern. Die Schifffahrt als Transportmittel auf ineinander verfließenden Grenzen, ist für den typischen Schweizer geradezu wie geschaffen, weil geografische Grenzen in der Schweiz praktisch auf Schritt und Tritt überwunden werden müssen. Im Vergleich mit Deutschland, hat die Schweiz vier Mal mehr Grenzmeter pro Quadratkilometer Bundesgebiet. Im Vergleich zur USA steht das Verhältnis gar 45:1. Grenzen überschreiten ist also fest verankert im helvetischen Kollektivbewusstsein. Und neben der Schifffahrt ist der Geldfluss fixer Transportfaktor für Profi-Grenzgänger. Die Schweiz vereint beide Faktoren in unvergleichlicher Perfektion. Da haben wir die Gemengelage.

„Ungefähr“, schreiben die Autoren von „Seefahrtsnation Schweiz“, gibt es 150 Flusskreuzfahrtschiffe, die die Schweizer Flagge auf europäischen Flüssen tragen. So genau weiß man das im Zeitalter der Digitalisierung nicht. Mit dem Karteikartensystem war es früher einfacher und genauer. Nach anderen Quellen stand bereits 2019 CH und Basel am Heck von 176 Flusskreuzfahrtschiffen, obwohl einige von ihnen ihren Heimathafen noch nie gesehen haben. Inzwischen sind es noch ein paar mehr und insgesamt dürften es deutlich mehr als die Hälfte aller in Europa registrierten Flusskreuzfahrschiffe sein. Zum Vergleich: In Österreich sind gerade mal 2 (zwei) Flusskreuzfahrtschiffe gemeldet, wovon eines wohl bald verschwinden wird. Die genauen Zahlen sind jedoch egal. Jedenfalls gibt es Grund genug um zu fragen, warum ausgerechnet Basel der wichtigste Heimathafen für Flusskreuzfahrtschiffe in Europa ist und was an den Vorwürfen dran ist, die von der Gewerkschaft Nautilus und von Aquapol regelmäßig gegen die Schweizer Flagge erhoben und unter dem Begriff „Arbeiterausbeutung“ subsumiert werden können. Die beiden Autoren kommen nach ihrer Recherche zum Fazit, dass das Problem der Personalausbeutung auf Schweizer Schiffen nicht zufriedenstellend gelöst ist. Aber es gibt durchaus positive Entwicklungen, schreiben sie. Die Gewerkschaft ist aktiv und die Eidgenossenschaft ist drauf und dran, eine neue „Maritime Strategie“ zu entwickeln. Weil die Gesetzgebung in verschiedener Hinsicht veraltet ist – sagt die eigens eingesetzte Kommission. Das ist zwar angesichts der „Errungenschaften“ im 21. Jhdt. in Europa eine sehr diplomatische Beschreibung des Ist-Standes, in Wahrheit aber – bis auf wenige Ausnahmen, geltendes Recht. Aber warten wir ab, ob die neue Strategie allfällige Verbesserungen abbilden, oder weiterhin Nährboden für „situationselastische“ Betriebsmodelle sein wird.

Die öffentliche Diskussion rund um die Aufregung lässt jedenfalls vermuten, dass – wie bei Corona – nach einer Impfung für das Virus gesucht wird, die Ursachen der Pandemie aber nicht beseitigt werden (sollen). Der hohe CH-Flaggenanteil ist nämlich nicht das eigentliche Problem. Vielmehr ist es die Konzentration auf ein paar (international) tätige Player die so agieren, dass wirtschaftliche und hoheitliche Interessen völlig ineinander verschwimmen. Eigentlich ist das eine Frage für die Kartellbehörden und nicht (mehr) für politische Regulierungsentscheidungen. Besonders dort, wo das Amazon-Prinzip erkennbar wird. Für enge Vernetzungen, auch eine Schweizer Perfektion, ist gerade die Binnenschifffahrt besonders gut geeignet. Die Formel ist einfach und lässt sich in der Binnenschifffahrt gut umsetzen: 1+1=3. Schifffahrt allein ist zum Beispiel wenig wert und öffentliche Verwaltung alleine auch. Führt man beide Faktoren in einer Hand zusammen, entsteht automatisch Wertvolles. Während in Österreich jeder mit jedem verwandt ist, hat die (Kreuz)Spinne in der Schweiz alle an ihrem Faden hängen. Die Zeit, die ein Österreicher braucht, um Café zu schlürfen, reicht dem Schweizer, um eine neue Firmenkonstruktion zu etablieren.

Bilder: IBBS

Seefahrtsnation Schweiz. Vom Flaggenzwerg zum Reedereiriesen
Mark Pieth & Kathrin Betz
Verlag Elster & Salis / 2022 Artikelnummer: 978-3-03930-033-4

Die Schweiz scheint auf den ersten Blick keinen Bezug zum internationalen Seehandel zu haben – immerhin grenzt sie an kein Weltmeer. Mark Pieth und Kathrin Betz zeigen in ihrem neuen Titel aber, wie Schweizer Reedereien trotz ihrer geografischen Lage an vorderster Front auf den internationalen Gewässern mitmischen. Die akribische Recherche setzt an den Anfängen der Seefahrt in der Schweiz an und endet im hier und jetzt.

Mark Pieth und Kathrin Betz zeichnen die Konfliktlinien der Wirtschaftsbranche nach: Ökologie und Arbeitnehmerrechte leiden nicht selten unter den Geschäftspraktiken des globalen Seehandels. Nebst der Beschreibung des Problems offeriert der Autor Vorschläge, was der Staat Schweiz unternehmen kann, um ökologische und humanitäre Tragödien innerhalb des Seehandels in Zukunft zu verhindern.

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