Die autonome Kannibalisierung begonnen

Der maritime Witz ist legendär: Die Besatzung des Kriegsschiffes verlangte im Befehlston eine Kursänderung vom Leuchtturm, den sie für ein Schiff auf Kollisionskurs hielten. Der Leuchtturmwärter lehnte dies ab und die Konversation eskalierte. Am Ende drohte der Kommandant des Kriegsschiffes mit Waffengewalt und bekam daraufhin nur die lapidare Funkmeldung: „Wir sind ein Leuchtturm. Statt zu drohen rate ich ihnen, unverzüglich den Kurs zu ändern, sonst landen sie an den Felsen zu meinen Füßen!“ Eine derartige Kommunikation, wird es in der autonomen Schifffahrt wohl nicht mehr vorkommen – oder doch?

REDAKTION: PETER BAUMGARTNER

Den sie für ein Schiff auf Kollisionskurs hielten. Der Leuchtturmwärter lehnte dies ab und die Konversation eskalierte. Am Ende drohte der Kommandant des Kriegsschiffes mit Waffengewalt und bekam daraufhin nur die lapidare Funkmeldung: „Wir sind ein Leuchtturm. Statt zu drohen rate ich ihnen, unverzüglich den Kurs zu ändern, sonst landen sie an den Felsen zu meinen Füßen!“ Eine derartige Kommunikation, wird es in der autonomen Schifffahrt wohl nicht mehr vorkommen – oder doch?

Zahlreiche Bausteine auf dem Weg zum autonomen Schiff hat es schon gegeben, damit es künftig keine Kommunikationsdefizite mehr auf dem Wasser gibt. Denn einer der Hauptgründe, warum es überhaupt eine autonome Schifffahrt braucht, sind angeblich menschliche Fehler, die ausgeschlossen werden sollen.

Egal, unter welcher Flagge die reguläre autonome Schifffahrt segeln wird, dahinter stehen zahlreiche Wegbereiter wie A-SWARM, DIMECC, CoVadem, LAESSI, Maritime Traffic Alert and Collision Avoidance System (MTCAS), Digitaler Schifffahrtsassistent (DAS) und viele andere. Und wenn man bedenkt, dass das Rennen um ein autonom fahrendes Schiff gerade erst begonnen hat, so ist es durchaus erstaunlich, welche Ergebnisse inzwischen schon erreicht wurden. Nicht nur hinsichtlich der praktischen Anwendung, sondern auch bei der Bewusstseinsbildung in der Wirtschaft. 2014 ergab eine PWC-Studie, dass nur 4 Prozent der Reedereien der Meinung sind, dass in absehbarer Zukunft Schiffe von Land aus gesteuert werden. Nur zwei Jahre später, glaubten schon 24 Prozent daran und heute scheint es kaum noch Zweifler zu geben.

Ausgelöst durch die Goldgräberstimmung.
unter dem Titel „Industrie 4.0“, ist Finnland heute, mit dem HORIZON Projekt der EU und wichtigen Leuchttürmen der digitalen Wissenschaft (Kongsberg, Rolls Royce), der Hot Spot für die Implementierung der voll autonomen Schifffahrt. Auch die geballte Finanzkraft, die hinter dem Projekt aufgebaut wurde, dokumentiert die Führungsrolle der Finnen.

Es gibt aber auch noch andere Mitspieler im Rennen um das autonome Schiff – wobei klar ist, niemand, der das Projekt vorantreibt, bezahlt die Rechnung selber. Es ist die Öffentlichkeit, letztlich auch der einzelne Binnenschiffer, der vielleicht bald seinen Job verlieren wird, die das Projekt autonome Schifffahrt in der Hoffnung finanzieren, dass die Allgemeinheit später davon profitieren möge.

Schon 2011 hatte ein junger Inder, als Kapitän in Dänemark beschäftigt, die Schnauze voll von seinem Job. Er hat sich quasi selbst wegrationalisiert. Ständig vom Ehebett getrennt, kam er auf die Idee, man könnte doch ein ferngesteuertes Schiff entwickelt und für immer daheimbleiben. Inzwischen ist er längst nicht mehr an Bord, sondern bei seiner Frau und betreibt erfolgreich das Forschungsunternehmen Sagar Defence Engineering (SDE) in Mumbai.

Als Fraunhofer 2015 den erfolgreichen Abschluss des MUNIN-Projektes verkündete, freute sich Senator Frank Horch in der BILD-Zeitung schon darüber, dass das „Roboter-Schiff“ Made in Harburg sein wird. Hans-Christoph Burmeister, der Projektleiter, konnte damals stolz verkünden, dass viele Fragen bereits gelöst sind. DNV GL-Maritime Wolfgang Franzelius stimmte dem, ungeachtet der vielen offenen Fragen, zu. Bereits mit einer Fernsteuerung in der Hand war damals auch schon Oskar Levander unterwegs. Er war einer der Wegbereiter bei Rolls-Royce, der die militärischen Erfolge in der Drohnentechnologie (Piranha Predator) in die zivile Schifffahrt transportierte. Rolls-Royce war auch schon dabei, als 2015 die Initiative „Advanced Autonomous Waterborne Applications (AAWA) vorgestellt und autonome Schiffe bereits für das Jahr 2020 prophezeit wurden.

2017 zeigten Forscher auf den Grachten in Amsterdam erstmals, dass sie in der Lage sind, auch auf stark frequentierten Wasserstraßen, selbstfahrende Boote für unterschiedliche Zwecke zu bauen und zu betreiben.

Mit dem „ROBOAT“ sollen nicht nur Güter befördert werden, wie das bisher das Hauptanliegen der Forschung war. Mehrere modular gebaute Boote können auch dynamische Infrastruktureinrichtungen und sogar Brücken bilden. Und es wäre nicht Amsterdam und NL-Forscher (Advanced Metropolitan Solutions (AMS), würden sie nicht gleich daran denken, dass man mit dem Ding auch Passagier transportieren kann. Am finanziell sehr gut versorgten Projekt, das noch bis 2021 läuft, ist auch das Massachusetts Institute of Technology (MIT), das nach dem Motto akademisches Wissen mit praktischem Zweck (mens et manus) arbeitet, beteiligt. Ein Zugang zur autonomen Schifffahrt, den übrigens auch der norwegische Lebensmittellogistiker ASKO mit der Planung von selbstfahrenden Transportschiffen verfolgt.

Das deutsche Projekt A-SWARM (Autonome elektrische Schifffahrt auf WAsseRstrassen in Metropolenregionen), verfolgt ebenfalls als Einsatzziel die Binnenwasserstraßen. Hier will man bis 2022 auf Berliner Wasserstraßen praktische Anwendungen sichtbar machen.

Eine Digitalisierung in der Binnenschifffahrt betrifft das gesamte Verkehrssystem Schiff, Wasserstraße, Häfen. Es braucht also auch eine digitale Infrastruktur bis hin zur Einbindung der Binnenschifffahrt in die digitalen Logistikketten. Schließlich geht es um ein Gesamtkonzept, das in die Digitalisierung der Mobilität insgesamt münden soll.

Da schlummern noch Herkulesaufgaben, wie zum Beispiel die Personalplanung in der Verwaltung. „Digital Enhancement of Vessels, Infrastructure and Logistics – Vorschläge zur Digitalisierung von Binnenschifffahrt und Wasserstraßen“(DEVIL), hat hierzu Grundlagen für den Masterplan Binnenschifffahrt (D) aufgezeigt.

NOVIMAR ist ein 2017 gestartetes internationales Projekt mit 22 Partnern aus 9 Ländern. Ziel des Projektes ist die Einführung des Platooning in der Binnenschifffahrt sowie die Entwicklung eines sogenannte „Vessel Trains“, eines Konvois aus mehreren Einzelfahrern, die sich flexibel und automatisiert zusammenfügen. Einzelne Schiffe im Konvoi können dabei mit oder ohne Besatzung sein. Erwartet wird dabei eine Einsparung bei den Personalkosten von bis zu 88 Prozent.

Das Projekt hat 7,9 Mio. Euro Förderung.
International weiß man in den Häfen dank Fraunhofer spätestens seit 2019, welche Maßnahmen die Häfen an ihrer Infrastruktur setzen müssen, wenn das autonome Schiff ankommen soll. Die Studie „Autonomous Vehicles‘ Impact on Port Infrastructure Requirements“ zeigt in der Analyse, dass international noch nicht viele ausgereifte autonome Technologien dafür entwickelt sind. Es gibt viele offene Fragen, nicht nur in Bezug auf die technologische Entwicklung, sondern auch in Bezug auf die bestehende und zukünftige Infrastruktur, die IT-Voraussetzungen, die Cybersicherheit und die Gesetzgebung. Dennoch scheint man auch hier zuversichtlich zu sein, die gesteckten Ziele erreichen zu können. Der Hafen Rotterdam „leistet“ sich ein eigenes Forschungsprogramm. Die Initiative von „CAPTAIN AI“, einem jungen SuU, zielt darauf ab, Rotterdam als europäischen Hotspot für autonome Schifffahrt auf die Karte zu setzen. Der Hafen stellt dafür auch ein eigenes Forschungsschiff zur Verfügung.

Seit einem Jahr hat die Niederlande ein eigenes Testgelände für autonome Schiffe. Das Researchlab Autonomous Shipping (RAS) in der Nähe der Delft University of Technology, wird mit dem bestehenden Forschungslabor Automated Driving Delft (RADD) kombiniert. Hier wird beispielsweise getestet, wie die Infrastruktur technisch und gesetzlich für den Praxisbetrieb geregelt werden muss.

2018 kam ein Impuls für die autonome Binnenschifffahrt – höchst ungewöhnlich – direkt aus dem Gewerbe. Shipping Factory, eine Container-Reederei mit Sitz in Papendrecht, gründete ein Partnerschaft mit dem jungen Big-Data-Unternehmen Xomnia aus Amsterdam.

Künstliche Intelligenz, fand die Reederei, kann die Entwicklung in der Binnenschifffahrt beschleunigen. Deshalb setzt sich Shipping Factory voll und ganz für Digitalisierung und autonome Schifffahrt ein. Xomnia behauptet wild entschlossen, die Berater der nächsten Generation zu sein und Künstliche Intelligenz zu atmen. Und mit dem Versprechen, die Welt intelligenter, sicherer und zuverlässlicher machen zu wollen, dürften sich zwei Partner gefunden haben, die für Überraschungen in naher Zukunft gut sein könnten.

Im Hafen Hamburg fand Anfang März dieses Jahres das jüngste Projekt der automatisierten Schifffahrt ans Licht der Öffentlichkeit. „echo.1“, eine 1,65 Meter lange Wasserdrohne, die für Wassertiefenmessungen eingesetzt wird, wurde feierlich getauft. Sechs Stunden kann das mit einer Batterie ausgestattete Messboot völlig autonom fahren. Ich bin mir sicher, dass dieser, vielleicht momentan noch ungewohnte, Anblick eines autonom fahrenden Fahrzeugs im Hamburger Hafen bald zur Normalität werden und „echo.1“ nicht lange allein bleiben wird“, sagte Hafenkapitän Jörg Pollmann. Nicht erwähnt wurde, dieses innovative, zweckmäßige und autonome Boot kommt aus – ja genau, aus China. Es ist ein Produkt aus dem Stall von YUNZHOU Intelligence.

Wie so oft, geht es auch auf dem Weg zum autonomen Schiff, um den Wettlauf zwischen dem Westen, Europa und China. Vielleicht sind die Chinesen sogar schon einen Schritt weiter, weil ihr Vorzeigeprojekt schon die Klassifikationsgesellschaft (CCS) als Partner hat. D.h., hier könnten schon wichtige Entscheidungen auf dem Weg zur endgültigen Zulassung im Projektablauf berücksichtigt werden. Denn abgesehen von den technischen Hürden, die das autonome Schiff bis zur Vollendung noch nehmen muss, die marktreife Zulassung durch die Behörden ist eine Untiefe, die erst überwunden werden muss.

Dann gibt es neben den noch zu lösenden Cyber Risiken, für die es wenigstens schon die Police „Ship Owner’s Marine Cyber Cover“ (SOMCC) gibt, ein ganz aktuelles Problem, das vielleicht alle anderen Probleme in den Schatten stellt: Tödliche Viren beherrschen die Menschen bis in den letzten Winkel der Welt. Ein ganz reales Szenario, dass in der Atomindustrie angekommen ist und den Stakeholdern dort ordentlich Kopfzerbrechen bereitet. Sind vielleicht alle Erfolge auf dem Weg zum autonomen Schiff plötzlich umsonst? Was heißt es für die völlig vernetzte und autonome Binnenschifffahrt, wenn der KI-Kapitän todkrank im Bett und seine „Matrosen“ schon am Friedhof liegen? Umkehren oder weiterfahren? Da sind kurz vor dem Ziel Fragen aufgetaucht, die vielleicht nur gemeinsam beantwortet werden können. (PB)

Quelle: Binnenschiff-Journal 2/2020

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