Die Kanalrebellen

Der Donau-Oder-Elbe-Kanal, als Bindeglied zwischen der Nordsee, Ostsee und dem Schwarzen Meer, ist eine „relativ“ junge Verkehrsinfrastruktur Idee. Erstmals hat sich Kaiser Karl IV. im 14. Jhdt. mit dem Thema beschäftigt.

Kubec Jaroslav und Podzimek Josef haben das Projekt der europäischen Wasserstraße in ihrem Buch umfassend dargestellt. Das Werk befasst sich mit der Geschichte und Gegenwart des Kanal- und Flusstransports in Europa im Allgemeinen, bringt interessante technische Daten über den Bau einer riesigen Wasserstraße und vernachlässigt nicht die Natur und die Umgebung des geplanten Korridors Donau-Oder-Elbe. Die Geschichte des Kanalprojektes ist eng mit Antonín Smrček (1859-1951) verbunden, ein typisch österreichischer Beamter, an dessen 70. Todestag wir uns 2021 erinnert. Österreich war schon sehr früh Betreiber des umstrittenen Kanalprojektes. Als Kaiser Franz Josef I. am 26. April 1901 das Wasserstraßengesetz einbrachte, wurde Smrček im Jahr darauf Professor an der Technischen Hochschule in Brünn und gründete ebendort den Fluss- und Kanalverein. Das kaiserliche Gesetz sah den Bau von insgesamt 1700 Kilometer Wasserstraßen vor und mit Smrček, der bis zum Ende der Monarchie für Mähren im Österreichischen Parlament saß, wurde auch tatsächlich viel gebaut. Smrček hat sich neben seinem Wirken für den Donau-Moldau-Elbe-Kanal aber auch als tschechoslowakischer Vertreter bei der Internationalen Donaukommission an der Gestaltung des Eisernen Tores verdient gemacht.

Mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges verloren die österreichischen Wasserstraßeninitiativen an Priorität – nicht aber an Wirkung und Bedeutung. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten trat die Notwendigkeit einer leistungsfähigen Transportinfrastruktur wieder in den Vordergrund und schon am 8. Dezember 1939 wurde der „Adolf-Hitler-Kanal“, ein Verbindungsstück des Donau-Oder-Kanals eröffnet. Gleichzeitig hat damals Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß auch den Spatenstich für den Donau-Oder-Kanal ausgeführt. Sichtbares Relikt dieser Nord/Süd Wasserstraße ist der Oder-Kanal in der Lobau bei Wien. Heute elitäres Naturschutzgebiet und Plantschbecken für zahlreiche Sommerhaus-BesitzerInnen. Hier sollte ursprünglich der Kanal in die Donau münden. Inzwischen sind weitere Teilstücke in Tschechien und Polen entstanden. Aber hauptsächlich wird darum gestritten, ob und wenn ja, wie und wo weiter gebaut werden soll.

Während sich Polen und Tschechen längst weitgehend einig darüber waren, dass der Kanal durchgehend gebaut werden soll, herrschte in Österreich ein politischer Wettkampf über die Meinungshoheit. Mit der vornehmlich sozialdemokratischen Pro-Haltung konnte sich die konservative Reichshälfte zunächst nicht anfreunden und erst mit starker Unterstützung der Industrie und der Wirtschaft, gewannen die Kanalbefürworter wieder Oberwasser. Insbesondere Wirtschaftskammer-Langzeitpräsident Christoph Leitl witterte durch die Annäherung des „Ruhrgebietes des Ostens“ an den Donauraum Morgenluft. Landeshauptmann Erwin Pröll und sein ergebener Diener, der jetzige Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka, traten in das Kielwasser von Christof Leitl. 1999 organisierte Gen. Dir. Sigmund Krämer vom Wiener Hafen mit den Tschechen gemeinsam eine Kanalprojekt-Präsentation in Brüssel. Überhaupt entwickelte sich Wien zur geheimen (EU)Kommandozentrale für das Donau-Oder-Elbe Projekt. Ein eigener Protagonisten-Verein wurde gegründet. Unter dem Vorsitz des Wiener Senatsrates Otto Schwetz, liefen ab 1996 alle Fäden im Sekretariat von Transport Infrastructure Needs Assessment (TINA) zusammen. Später wurde daraus TINA Vienna Transport Strategies GmbH und Schwetz weiterhin Frontman für den Wasserstraßenausbau. Viel Geld wurde für viel Papier investiert – gebaut wurde nichts. Zum Schluss war gar nicht mehr klar, ob das Kanalprojekt überhaupt noch mit österreichischer Beteiligung gebaut wird, denn plötzlich wurde die Slowakei mit der March ins Spiel gebracht. Bei der Verkehrsministerkonferenz 2017 haben Polen, Tschechen und Slowaken eine gemeinsame Vereinbarung zur Projekteinreichung in Brüssel beschlossen.

Seit vielen Jahren ist der tschechische Staatspräsident und vormalige Ministerpräsident Miloš Zeman Botschafter für den Donau-Oder-Elbe-Kanal. Unermüdlich nützt Zeman jede Gelegenheit, um für seinen Traum – wie er es nennt – einzutreten. Damit war er durchaus bereits erfolgreich. Ihm ist zu verdanken, dass das Kanalprojekt immerhin im „European Agreement on Main Inland Waterways of International Importance (AGN)” verankert ist. Das AGN wurde von Österreich schon 1997 unterzeichnet und 2010 ratifiziert. Im AGN sind u.a. alle sogenannten E-Wasserstraßen, also jene von internationaler Bedeutung aufgelistet. Die Donau-Oder-Elbe Verbindung trägt die Bezeichnungen E-20 und E-30 und ist somit Bestandteil der europäischen Verkehrsinfrastrukturpolitik. Der schlaue Fuchs Zeman ist aber realistisch genug um zu sehen, dass die Regierenden meist nur in Wahlperioden denken. Daher sind Projekte wie der D-O-E-K, deren Erfolg erst viel später sichtbar wird und deren Früchte von anderen geerntet werden, unbeliebt. Deshalb hat Zeman auch keine Scheu davor, mit den Chinesen zu „drohen“. Tatsächlich wäre das Engagement für China eine lohnende Investition und für die USA eine schallende Ohrfeige. Aber Zeman hat auch in Europa mächtige Freunde, sogar in Österreich. Zum Beispiel Bundespräsident Heinz Fischer, der im Dezember 2014 Seite an Seite mit den D-O-E-K Befürwortern bei einer Ausstellung auf der Prager Burg, freudig an der symbolischen Kanaleröffnung teilnahm. Aber der Staatspräsident ist gesundheitlich angeschlagen und er hat bereits durchblicken lassen, dass er sich gerne in die Reihe der großen Kanal-Visionäre von Kaiser Karl IV. über Franz Josef I. und Jan Antonín Baťa einreiht. Der „Zemanova-Kanal“ hat jedenfalls bereits einen fixen Platz in der Geschichte.

Tschechische Umweltschützer (Bild: Extinction Rebellion/Prag) protestieren gegen den D-O-E-K…

Zeman ist auch Realist und sieht, dass die Kanalrebellen immer mehr werden und wie Hyänen auf sein Ende lauern. Auch in Tschechien bedienen diese Hyänen die typische Rivalität zu den Löwen. Mit der kürzlich angelobten Regierung kam eine neue Umweltministerin in das Amt, die sich schon vor ihrer Angelobung gegen den D-O-E-K ausgesprochen hat – ohne Konsequenzen für sie, im Vergleich zu früheren Zeiten. Als Kanalrebellen offen gegen das Projekt Mittellandkanal von Wilhelm II. meuterten, brachten sie das Kaiser-Projekt 1899 zwar zu Fall, wurden aber sofort von allen Ämtern entfernt. Damals standen Agitatoren jedoch noch zu ihrem Wort und waren bereit, persönlich die Konsequenzen für ihr Handeln zu tragen. Auch in Österreich hat es die Verkehrsministerin gewagt, sich unmissverständlich gegen das Kanalprojekt auszusprechen. Auch dieser Kanalrebellin ist nichts geschehen, obwohl ihr Präsident Van der Bellen gleichzeitig visionäre Projekte innerhalb der Three Seas Initiative (3SI) verfolgt, die ganz und gar nicht umweltfreundlich sind.

Die Three Seas Initiative (3SI), ein hochrangiges, jährliches Gipfeltreffen auf Präsidentenebene, zielt darauf ab, die Zusammenarbeit in erster Linie zur Entwicklung der Infrastruktur zu fördern. Die Drei-Meere-Initiative  besteht aus zwölf mittel- und ostmitteleuropäischen Staaten. Gründungsmitglied Österreich, unterstützt die Drei-Meere-Initiative als Forum für die Definition, Entwicklung und Umsetzung gemeinsamer Ziele der Länder der Region, sagte Bundespräsident Van der Bellen in Vertretung Österreichs in der Initiative. Deutschland ist, wie die USA, inzwischen ebenfalls Partner der Initiative. Zu den Kernprojekten zählt beispielsweise die „Via Carpathia“, eine Straße, die Klaipeda in Litauen mit Thessaloniki an der Ägäis verbinden wird. Ein beispielloses, gigantisches Straßenprojekt in Europa. Der D-O-E-K ist im Vergleich dazu genau die Badewanne, die tschechische Umweltaktivisten als Mahnmal verwendet haben. Der Grüne Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der schon immer zuerst Ökonom und dann Grüner war, identifizierte 2018 bei der gemeinsamen Sitzung in Bukarest u. a. die Erweiterung des transeuropäischen Straßennetzes, als prioritäre Aufgabe, bei der die Drei-Meere-Initiative wichtige Beiträge liefern könne. Mit der neuen nachhaltigen und intelligenten Verkehrsstrategie erwartet 3SI aber auch eine entsprechende Förderung für das 23 Mrd. Euro Projekt DOEK und deren Aufnahme in das TEN-T Netz. Die ablehnende öffentliche Haltung Österreichs steht also klar im Widerspruch zur eigenen Position als Mitglied der 3SI. Es macht dem Grünen Vertreter Österreichs auch nichts aus, dass US-Schiefergas billig importiert wird, weil die USA ein starker Partner von 3SI ist. Und wenn die Grünen im eigenen Land gegen Atomkraftwerke schimpfen, so haben sie nichts gegen den Bau neuer AKWs durch die USA in Europa, etwa in Rumänien, weil das im Interesse der 3SI ist. Früher hatten Kanalrebellen nicht nur eine eigene Meinung, sondern auch einen Standpunkt. Was wir heute sehen ist eine situationselastische (Verkehrs)Politik, bei der der Standort den Standpunkt bestimmt.

…und vergleichen ihn mit einer betonierten Badewanne (Bild: Extinction Rebellion/Prag)

Ob und wie es mit dem Projekt Donau-Oder-Elbe-Kanal weitergeht, ist derzeit wohl schwer zu beantworten. Sicher ist, der Faktor Zeit spielt bei diesem Projekt keine Rolle. Es können durchaus weitere 100 Jahre ohne Bautätigkeit vergehen. Letztlich wird es immer Befürworter und Kanalrebellen geben. Eine wichtige Markierungsboje, die gerade erst veröffentlichte Revision des Trans-European Network Transport (TEN-T), leitet die europäische Verkehrspolitik genauso in die Sackgasse, wie die Vorgängerversion. Die Zahlen zeigen, dass die ursprünglich gepriesene Verkehrspolitik Verbesserung nur für den Straßentransport gebracht hat. Der Status quo von 15.451 Kilometer Binnenwasserstraßen und 57 Binnenhäfen, die zum transeuropäischen Kernnetz zählen, wird nicht erweitert. Es gibt zwar auch ohne Neubauten mehr als 40.000 Kilometer schiffbare Wasserstraßen und 250 Binnenhäfen in der EU, aber dieses Potential wurde bisher und wird auch in Zukunft nicht genützt. Zwar muss der Verkehr nach den neuen Prämissen der EU umweltfreundlicher, effizienter und resilienter werden, aber das sind nur die neuen Schlagworte um eine Anpassung an die EU-Klimaziele zu unterstreichen. Die EU erkennt sogar das Potential der Binnenschifffahrt – oder behauptet das zumindest, legt den 3. Aktionsplan vor – und ändert wieder nichts. Man muss kein Prophet sein um zu erkennen, die Binnenschifffahrt spielt auf den European Transport Corridors weiterhin eine untergeordnete Rolle. Was sagt das Gewerbe dazu? Man freut sich darüber, dass Anlegeplätze als wichtiger Teil der Infrastruktur anerkannt werden. Das ist ja tatsächlich auch wichtig, denn Binnenschiffe, die nicht am Transportmarkt teilnehmen können, brauchen wenigstens einen sicheren Hafen.

 

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