Donaudampfschiffahrts-Gesellschaftskapitän

Binnenschiff Journal hat ausführlich über „Das Schiff als Kulturgut“ berichtet. Dabei kam auch die Geschichte von einem der letzten Dampfschiffe der „Ersten-Donaudampfschifffahrts-Gesellschaft“ zur Sprache.

Hermann Teschl/Donaudampfschiffahrtsgesellschaftskapitän

Über die bewegte Geschichte des DFS JOHANN STRAUSS hinaus, sollte an dieser Stelle auch das Leben und Arbeiten auf diesem Schiff nicht in Vergessenheit geraten. Deshalb möchte ich über meine Zeit als Schiffsjunge der 1.DDSG auf diesem wunderschönen Dampfschiff berichten.

Groß war die freudige Erwartung unter den Schiffsjungen meines Jahrganges, als wir im Frühjahr 1971, nach sechs Monaten Internierung auf dem „Schulschiff 1“ in Korneuburg, die Diensteinteilungen für die Sommermonate bekamen. Natürlich wurden die Lehrgangsbesten mit einer Einteilung auf dem damaligen Flaggschiff MFS „Theodor Körner“ belohnt. Dann ging es je nach Lernerfolg und Beliebtheitsgrad bei den Vorgesetzten, auf die „Stadt Wien“ oder auf die „Stadt Passau“. Auch die „Schönbrunn“ galt noch als ganz akzeptabel. Am Schluss blieb noch der alte Dampfer „Johann Strauß“ – liebevoll „Schani“ genannt, übrig. Diese Einteilung war sicherlich keine Belohnung, sondern wohl eher als Strafeinteilung anzusehen. Noch schlimmer war nur mehr eine Einteilung auf einem Frachtschiff – damals als „Schwarzen Flotte“ verpönt. Wie zu erwarten, verkündete mir der Schulschiffleiter Kapitän Ernst Hinum, ab auf die „Johann Strauß“. Mit mir ging ein netter Kollege aus der Obersteiermark, mit dem ich mich recht gut verstand, an Bord. Bei der damaligen Reichsbrücke, die noch in voller Pracht die Donau am Handelskai überspannte, wartete dann das imposante Dampfschiff mit dem gewaltigen Kamin und den seitlichen Schaufelrädern auf uns. Staunend betraten wir das Schiff und bewunderten die wunderschöne Empfangshalle mit dem herrlichen Einlegebild des großen Meisters Strauß-Schani beim Stiegenaufgang zum Rauchsalon „Erster Klasse“. Wir wurden jedoch schnell aus unserer Verzückung in die Realität geholt, als plötzlich Bootsmann „Tulli“ vor uns stand und uns mit „was steht ihr da herum wie die Weiber vor der Hochzeit – ab in die Kabine mit Euch und dann zur Arbeit“, empfing. Bootsmann Tulli war ebenso imposant wie das Schiff. Sein Gesicht zierte ein Seemannsbart und aus dem Bart lugte von Zeit zu Zeit ein Gebiss mit mehreren Zahnlücken hervor. Er trug jedoch immer seine schmucke Uniform, war immer hinter den weiblichen Passagieren her und zeitweise konnte er richtig gesellig sein. Nach dem Einschiffen (=einziehen) in die Schiffjungenkabine am „zweiten Platz“, neben den Passagierkabinen der „zweiter Klasse“, meldeten wir uns wieder beim Bootsmann und es ging zur Arbeitseinteilung. Mein Kollege bekam die Inspektion in der Kommandantenkabine, beim 1. Maschinen-Betriebsleiter, beim 1. Steuermann, im Steuerhaus, im Rauchsalon zweiter Klasse und auf dem Sonnendeck Achterschiff. Für mich hieß es, ich sei der „Schreiberling“ und bekomme die Inspektion beim Zahlmeister, beim 2. Maschinen-Betriebsleiter, beim 2. Steuermann, im Rauchsalon „Erster Klasse“ und auf dem Sonnendeck am Vorschiff. Ergänzend muss erklärt werden, dass die Bezeichnung „Inspektion“ nichts mit überprüfen zu tun hatte, sondern nur die nette Umschreibung für Putzen war – und zwar jeden Tag mit äußerster Gründlichkeit. Abfahrt um 22.00 Uhr hieß es dann – wir Schiffsjungen bräuchten jedoch um diese Zeit nicht mehr mitzuhelfen – Jugendschutz. Natürlich war ich bis zur Abfahrt an Deck, half den Matrosen bei der Arbeit und bewunderte das Treiben im Maschinenraum wo der 2. Maschinen-Betriebsleiter Rudl mit seinen Heizern, die blitzeblanke Dampfmaschine in Betrieb setzte. Unerreichbar, wie bei Franz Kafka der Schlossherr für den Landvermesser, war für uns Schiffjungen am ersten Tag der Herr Kommandant und der Herr 1. Maschinen-Betriebsleiter. Nach dem Einholen des Landseiles, mit dem das Schiff üblicherweise am Ufer befestigt ist und Auslassen der Pontonseile, setzten sich die Schaufelräder mit gewaltigem Getöse in Bewegung. Nach einer Weile, das gleichmäßige Dahinschaukeln wahrnehmend, ging ich zu Bett und schlief bald darauf ein.

Ein stimmgewaltiges „Tagwache!“ holte mich aus meinen Träumen. Bootsmann Tulli stand im Türrahmen der Schiffsjungenkabine. „Heute blaue Uniform, weißes Hemd und Käppchen – es ist Saisoneröffnung in der Wachau! Nach dem Frühstück – Anwesenheit und Mitarbeit bei allen Anlegemanövern, zwischendurch Schiffsjunge 1 zur Inspektion in die Kommandantenkabine – der Schreiberling (da war dann ich gemeint), beim Herrn Zahlmeister melden.“ Nach einer hastigen Morgentoilette wurde das schmucke Schiffjungenkäppchen zurechtgerückt und ab ging es auf das Deck zur Frühstücksausgabe. Die Küche befand sich auf der Backbordseite im Korridor zwischen vorderen und hinteren Eingang. Die dralle, etwas unbeholfene Küchengehilfin, überreichte zwei Wurstsemmeln und eine Schale duftenden Blümchenkaffee. Damit ging es zur heimelig warmen Kesselbank im vorderen Teil des Korridors, nahe der Maschine. Ich verschlang hastig meine Wurstsemmeln, und betrachtete dabei, durch die Fenster zum Maschinenraum die mächtigen, sich ständig hin und her bewegenden Kolbenstangen der Dampfmaschine. Wie mir der 2. Maschinen-Betriebsleiter später erzählte, handelte es sich hierbei um die letzte, zur damaligen Zeit noch in Betrieb befindlichen Oszillierenden Dampfmaschine. Eine zweite Maschine dieser Art befand sich nur noch im Technischen Museum in Wien. Diese musste bei Bedarf als „Ersatzteillieferant“ herhalten. Ich meldete mich in der Kanzlei. Zahlmeister Peter betrachtete mich argwöhnisch, wohl mit dem Hintergedanken, ob ich als „Schreiberling“ etwas taugen werde. Konnte er doch an einen fleißigen und fähigen Schreiberling die meisten seiner Arbeiten delegieren und es sich dann selbst gemütlich machen. Dies machte sich dann später durch lautes Schnarchen auf der Couch hinter dem Vorhang in der Zahlmeisterkabine bemerkbar, wenn ich am Schreibtisch saß. So hatte ich wenigstens auch die Gelegenheit, das vorbeiziehende Ufer zu betrachten und sah zum Beispiel die wunderschöne Landschaft der Wachau. Deine wichtigste Aufgabe, befahl der Zahlmeister, ist das Führen des Passagierfrequenzbuches und er drückte mir gleichzeitig eine Zähluhr in die Hand. In jeder Station musst Du die ein- und aussteigenden Passagiere genau zählen, hier in das Buch eintragen und dann beim Herrn Kommandant auf der Brücke die Anzahl der Passagiere an Bord melden. Das ist eine ganz verantwortungsvolle Aufgabe, muss doch der „Alte“ dann entscheiden, wann die höchstzulässige Passagieranzahl erreicht ist. Erst später wurde mir bewusst, dass nur ein sich im Offizierstand befindlicher Zahlmeister es sich erlauben dürfte, die Bezeichnung „Alter“ für den Kommandant des Schiffes zu verwenden.

In der Zwischenzeit hatten wir die Station Melk erreicht und wir legten an der Lokalschiffstation, direkt unter dem mächtigen Benediktiner Stift an. Reges Treiben setzte ein. Passagiere gingen von Bord und andere kamen auf den Dampfer. Zahlmeister Peter zwickte die Fahrkarten und ich zählte gewissenhaft mit. Proviant für das Restaurant kam an Bord, der Trinkwassertank wurde gefüllt und mit einer großen schwarzen Wolke aus dem Kamin wurde „Über Heck“ abgelegt und wir gingen wieder in die Talfahrt Richtung Wien. Erstmals durfte ich auf die Kommandobrücke um meine Meldung über die Passagieranzahl beim Kommandanten zu machen. Er stand im „Nockfahrstand“, zog einen kleinen Zettel aus seiner Uniformtasche, schaute kurz drauf und bedankte sich anschließen höflich bei mir. Wie ich später erfuhr zählte der alte Fuchs stichprobenartig selbst mit, um mich zu kontrollieren.

Saisoneröffnung war zu dieser Zeit ein, nach einem langen Winter sehnsüchtig erwartetes Ereignis in der ganzen Wachau. Unser „Schani“ hatte festliche Flaggengala aufgezogen, und die Anlegestellen waren ebenfalls mit Fahnen geschmückt. Musikkapellen, Trachtengruppen und Bürgermeister mit der Bevölkerung warteten an den Stationen auf die Ankunft des Schiffes. Der Lotse musste die Schiffsführung übernehmen und nach dem Anlegen des Schiffes schritten die Herren Kommandant und Maschinen-Betriebsleiter, dem Begrüßungskomitee entgegen. Beide Herren trugen ihre vier goldenen Ärmelstreifen (beim MBL rot unterlegt) gut sichtbar zur Schau. Die Musik begann zu spielen, Kinder sagten Gedichte auf, kleine Mädchen überreichten Blumen und natürlich durfte ein Begrüßungsschnäpschen nicht fehlen. Vorbei ging es an Aggsbach, Aggstein, Spitz, und Weissenkirchen. Kurz nach der Abfahrt von Dürnstein, bei Passage der Schusterrutsche, kam die Brücke von Krems in Sichtweite. Es ertönte das Schiffshorn einmal kurz und alle Matrosen machten sich im Laufschritt auf den Weg zum Oberdeck. Der Flaggenmast und der Kamin mussten händisch umgelegt werden – und zwar rechtzeitig vor der Brücke. Gelang das nicht rechtzeitig, gab es Blechsalat. Das sollte tunlichst vermieden werden, denn ein Reparaturaufenthalt in der Saison, war ein mittleres Drama und keine gute Reputation für die Verursacher. Am späten Nachmittag, heftiges Getue auf dem Steuerbordkorridor direkt vor der Kapitänskabine. Vorsichtig lugte ich durch das Kanzleifenster und sah wie der Kommandant meinen Kollegen an den Ohren hatte und heftig daran zog. Ich verstand etwas von „Du Lauser! In Zukunft wirst Du meine Schuhe ordentlicher putzen…“ Dies alles erfolgte in einem starken Kärntner Akzent. Für den Rest der Saison waren die Schuhe des Kapitäns auffallend blitzblank geputzt.

So verging Tag um Tag in meiner ersten Saison an Bord mit mehr oder weniger gleichen Tätigkeiten, die rasch zur Routine wurden. Leider war es mir nicht gegönnt, die Schifffahrtsaison 1971 mit JOHANN STRAUSS bis zum Ende durchzufahren. Im Zuge einer Bergfahrt, brach auf Höhe Korneuburg die Antriebswelle der Schaufelräder und das Schiff musste aus dem Verkehr gezogen werden. Ich wechselte zur „schwarzen Flotte“, wurde selber Kapitän und befuhr die Donau von Regensburg bis zum Schwarzen Meer. Mit der Öffnung des Rhein-Main-Donau Kanales kam ich über den Rhein auch bis an die Nordsee. Zwischendurch vertrat ich meine Reederei im russischen Donauhafen Ismail und bekam die Aufgabe der Betriebsleitung einer großen Kreuzfahrtreederei übertragen. Heute genieße ich meine Pension im eigenen Wald in der Steiermark und bin weiterhin eng mit meiner Binnenschifffahrt verbunden.

Translate »