Greta an Bord! Ist die Binnenschifffahrt der Rettungsanker für das Weltklima?

Das ist die „Gretchenfrage“. Jetzt nicht auf Greta Thunberg bezogen, sondern auf die Tragödie von Goethes Faust: Nun sag, wie hast du‘s mit dem Klimaschutz?

REDAKTION: PETER BAUMGARTNER.

Es ist eine Gewissensfrage, deren Beantwortung von Befragten in der Zeitrechnung vor Greta regelmäßig elegant umschifft wurde. Greta Thunberg darf sich auf die Fahnen schreiben, dass durch sie dieses Herumdrücken um eine klare Antwort vorbei ist – und zwar endgültig.Die der Hybris verfallenen Protagonisten der Verkehrswirtschaft müssen sich jetzt, nach jahrzehntelanger Misswirtschaft, von einer Schülerin sagen lassen, dass sie ihre Kompetenzen und Fähigkeiten maßlos überschätzt haben. Lange Zeit hat man gehofft, dass wenigstens der zunehmende Frauenanteil in der Verkehrswirtschaft das Ruder herumreißen kann. Aber auch sie konnten den Ballast nicht abwerfen, den ihnen die Männerwirtschaft hinterlassen hat. Jetzt müssen die Kinder ran und es bleibt zu hoffen, dass der drohende Generationenkonflikt nicht als Kollateralschaden bei der Bewältigung des Klimawandels übrigbleibt.

Ein Sektor sucht acht Millionen Tonnen CO2 – Schaffen wir die Klimawende im Verkehr? Diese Frage stellte sich die Österreichische Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft (ÖVG) in ihrem jüngsten Forum. Rund acht Millionen Tonnen CO2 müssen nämlich gemäß den Pariser Klimazielen bis 2030 in Österreich jährlich eingespart werden. Nur dann lassen sich Strafzahlungen und Zertifikatkäufe in Milliardenhöhe noch abwenden.

Große Anstrengungen des Verkehrssektors werden somit erforderlich sein. Die Binnenschifffahrt wird nicht der Rettungsanker sein, der diese Aufgabe allein wird stemmen können. Aber die Binnenschifffahrt – und das ist keine neue Erkenntnis, kann einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der klimapolitischen Ziele leisten. Klima relevant geht es um Themen wie Verkehrsvermeidung, Auslastungsgrad, Effizienzsteigerung, alternative Antriebe und um Verkehrsverlagerung. Alles Bereiche, wo Binnenschiffe ihre Stärke ausspielen können – wenn man sie lässt und dafür die Voraussetzungen schafft.

Die größte Untiefe für die Binnenschifffahrt, die sie immer wieder stranden lässt, ist die europäische Verkehrspolitik. Dort herrscht das Dogma des „freien Warenverkehrs“ und niemand ist da, der sich zu sagen getraut, dass der freie Warenverkehr nicht automatisch die freie Wahl des Verkehrsmittels bedeuten kann. Wenn sich das nicht ändert, werden uns die bösen Blicke von Greta noch in Grund und Boden stampfen, bevor uns ihr Flammenschwert in Stücke reißt.

Wenn hier kein Umdenken stattfindet, hat es wenig Sinn, sich über Verkehrsverlagerung Gedanken zu machen. Dann wird die Binnenschifffahrt weiterhin ihre Aufgabe als Tarifregulator führen dürfen. Mehr aber auch nicht. Das Dumme ist nur, alle anderen Zielsetzungen hängen unmittelbar mit der Verkehrsverlagerung zusammen. Alternative Antriebe in der Binnenschifffahrt werden nur gebraucht und flächendeckend finanzierbar sein, wenn es eine Verkehrsverlagerung gibt. Ebenso eine Verkehrsvermeidung.

Ganz zu schweigen von einer Effizienzsteigerung der Bahn, die nur möglich ist, wenn jeder Verkehrsträger das macht, was er gut kann und zu leisten vermag. Dass die Binnenschifffahrt klimaschonend arbeiten kann, zeigen viele Beispiele, die sich wie Inseln aus dem Verkehrssumpf abheben. Zum Beispiel im Bereich der City-Logistik, wo bedingt durch den zunehmenden Internethandel, uns der Verkehr in den Ballungsräumen schon förmlich um die Ohren fliegt. Darauf hat IKEA eine ökologische Antwort gesucht und gefunden. Jetzt lässt das Unternehmen die Kunden in Paris von einem Schiff mit E-Antrieb beliefern. Bis zu 3.000 Pakete/Tag finden so ihr Ziel. Dabei fährt das Schiff, fast wie eine U-Bahn, mehrere Stationen in der Stadt an. Die „letzte Meile“ vom Schiff zum Kunden machen E-Lasträder – wobei das Netzt schon so engmaschig ist, dass sie nur rund zwanzig Kilometer pro Tag fahren müssen.

Ein großes Verlagerungspotential besteht im städtischen Bereich in der Baustellenlogistik. Da hat die Binnenschifffahrt schon viel geleistet und neue Angebote, wie das Beispiel auf der Loire zeigen, es geht noch mehr. Bei einer einzigen Baustelle konnten durch den Einsatz eines neuen Binnenschiffes 240 LKW-Fahrten eingespart werden. Zunehmend sind auch die Herausforderungen im Bereich der Abfalllogistik. Auch deshalb, weil der Raum in den Städten knapp wird. Hier kann die Binnenschifffahrt gleich zweifach punkten. Das schwimmende Lager für Sperrmüll in Lyon ersetzt 25 LKW und hat sich bewährt.

Die Stadt ist schon lange bekannt für seine nasse Raumordnung und nützt die Wasserstraße nicht nur für den Transport, sondern auch für die Lagerlogistik. Weil die Binnenschifffahrt den Klimawandel schon schmerzlich zu spüren bekommt und mit großen Schiffen bei Niederwasser oft kein Betrieb mehr möglich ist, braucht es alternative Ideen. Das hat dazu geführt, dass zunehmend kleinere und flexiblere Binnenschiffe gebaut werden. Damit kann der Verkehr bei Niederwasser länger garantiert werden und gleichzeitig wird der Aktionsradius von kleinen Schiffen wesentlich größer, weil auch kleinere Flüsse und Kanäle befahren werden können.

Österreich macht sich auch Gedanken über den wachsenden Verkehr in der Stadt – seit 2013. Hierorts lautet die Devise von „Zero Emission Austria“ die Erreichung von Smart Urban Logistics mit 60 Prozent Emissionsreduktion – bis 2050 (!) Ob uns Greta bis dahin Zeit lässt? Bis dahin ist sie selber 50 und wahrscheinlich längst explodiert. Wien ist mit seiner smarten City Logistik schon einen Schritt weiter. Man hat es aber auch nicht besonders eilig. Gerade wurde den heimischen Logistikern wissenschaftlich bestätigt, der wachsende Pakettransport ist eh nicht so schlimm. Dennoch gibt es schon einen „thinkport VIENNA“ – quasi ein Großraumlabor für Leute, die urbane Mobilität spielen möchten. Die bisherige Bilanz: „Wir machen das, um herauszufinden, was wir noch herausfinden müssen“. Gut, dafür hätte zwar auch ein Blick über den Tellerrand genügt, aber vielleicht hat Greta wenigstens mit jenen Proponenten ein Erbarmen, die sich bemüht haben. Als modern und umweltfreundlich bezeichnet thinkport VIENNA ein Projekt namens HUBERT, bei dem der Warenzulauf nach Wien gebündelt und vor der Verteilung zwischengelagert werden soll. Früher nannte man das „Hub-and Spoke-System“. Frei übersetzt, die Ware wird wenig umweltfreundlich im Kreis geführt.

Im „thinkport BERLIN“ ist man seit geraumer Zeit der Findungsphase entschlüpft und befindet sich in der Umsetzung von innovativen Lösungen. Derzeit baut der Hafen ein emissionsfreies Schubschiff namens ELEKTRA. Die umweltfreundliche Antriebsart (Akku + Brennstoffzelle + Wasserstoff) wird täglich 100 Km Reichweite bei einer Geschwindigkeit von max. 10 Km/h leisten. Mehr als ausreichend für die City Logistik.

Mark Twain, der alte Mississippi-Lotse hat früh erkannt: „Das Klima dauert die ganze Zeit, das Wetter nur ein paar Tage“. Vielleicht hilft diese Erkenntnis zu Eile im Klimaschutz. Immerhin, dank António Guterres, der geschockt von Gretas Rede in New York eingestanden hat: „Wir reden zu viel und tun zu wenig“, wissen jetzt alle, was getan werden muss. (PB)

Quelle: Binnenschiff Journal 1/2020

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