Hygiene – Für den Klimawandel an Bord gibt es noch Luft nach oben.

Hygiene ist die Lehre von der Verhütung der Krankheiten und der Erhaltung und Festigung der Gesundheit. Mit oder ohne Hilfe der griechischen Göttin Hygieia, müssen wir Keime im Keim ersticken.

REDAKTION: PETER BAUMGARTNER.

In der Binnenschifffahrt gibt es zwei Gefährdungen, die eine absolute Herausforderung darstellen. Feuer und ungesunde Atemluft. Obwohl es eigentlich paradox ist, weil rundherum Wasser vorhanden ist, gilt Feuer an Bord als Worst Case. Ebenso verhält es sich mit der sauberen Atemluft. Auch diesbezüglich könnte man meinen, sollte es gerade auf einem Schiff kein Problem geben. Dennoch kann die Luft an Bord manchmal sogar tödlich sein. In der Frachtschifffahrt gibt es diesbezüglich insbesondere zwei Gefahrensituationen, die regelmäßig kritische Situationen auslösen. Das sind zum einen nicht ausreichende Atemluft in dicht geschlossenen Räumen. Werden diese von der Besatzung ohne vorherige Messung betreten, besteht akute Lebensgefahr.

Ein anderes Problem ist die von der Ladung ausgehende kontaminierte Luft. Ladung, die zur Schädlingsbekämpfung begast werden muss, kann zum Beispiel die Umgebungsluft derart verschlechtern, dass es lebensbedrohlich wird. In der Passagierschifffahrt ist die Luftqualität eher ein Luxusproblem. Kaum ein Schiff kommt heute noch ohne Klimaanlage aus. Mit fortschreitender Klimaänderung nimmt die Sicherstellung einer normalen Raumtemperatur weiter zu. Der altbekannte Deckenventilator oder die Lüftungshutzen haben aber längst ausgedient. An deren Stelle sind unterschiedliche Arten von Klimaanlagen getreten, die meist nach den persönlichen Bedürfnissen der Kabinenbewohner geregelt werden können und nicht nur kühlen, sondern auch heizen. Zwar kann man viele Kabinen auch zusätzlich natürlich belüften, aber speziell in den unteren Deckskabinen können Fenster oder Bullaugen nicht geöffnet werden. Diese Kabinen und andere Räumlichkeiten können nur technisch belüftet oder beheizt werden.

Husten, Schnupfen, Heiserkeit, sind die geringsten Probleme, die dabei entstehen können. Als unmittelbare Folge von Corona, kündigen Reedereien zahlreiche Anpassungen im Bordbetrieb an. Eine der Maßnahmen betrifft naturgemäß die Klimasysteme, weil deren Funktion ein wichtiges Kriterium für die Hygiene an Bord ist. Seriöse Anbieter von Klimasystemen führen deshalb vorbeugend „technische Gesundheitschecks“ durch – und zwar 24/7/365 überall auf den Wasserstraßen, weil nur so sichergestellt werden kann, dass zum Beispiel kein bakterielles Wachstum im System entsteht. Daneben ist es absolut wichtig, dass das Bedienpersonal gut geschult und mit der Anlage vertraut ist. Diese Kompetenz geht weit über die technischen Skills hinaus und umfasst ein weitreichendes Grundverständnis über grundsätzliche Hygieneanforderungen an Bord.

Wie groß und wie nachhaltig die Gefahren sind, die von Klimasystemen ausgehen können, darüber gibt es unterschiedliche Expertenmeinungen. Unbestritten sind regelmäßige Wartungs- und Inspektionsintervalle absolut zwingend – wobei allerdings schon bei der Definition „regelmäßig“ die Meinungen auseinander gehen. Anders als bei stationärer Verwendung von Klimasystemen, kann die angesaugte Frischluft auf einem Schiff durchaus negativen Einflüssen ausgesetzt sein. Wenn zum Beispiel unmittelbar bei der Ansaugöffnung das Müllboot vor sich hingammelt, ist die angesaugte „Frischluft“ gefährdet. Auch wenn Schiffe im Paket liegen müssen und kaum Raum zwischen den Schiffen bleibt, kann die Qualität der angesaugten Luft beeinträchtigt werden.

Das Inst. f. med. Mikrobiologie, Virologie & Hygiene am Uni Klinikum Rostock thematisiert die spezifische Hygiene an Bord in Bezug auf die Be- und Entlüftung. Dabei wird für die Zuluftansaugung eine maximale Entfernung von möglichen Schadstoffeintragungen verlangt. Auch die Qualität der verwendeten Filter, das Verhindern von Kondenswasserbildung, Korrosionsfestigkeit und generell eine leichte Zugänglichkeit, sind wichtige Kriterien für die Hygiene.

Eine besondere Herausforderung an Bord ist die Einhaltung der Hygiene bei der Abfalllagerung und Entsorgung. Auch für International Chamber of Shipping (ICS) gehört die geeignete Abfallentsorgung zu den wesentlichen Punkten hinsichtlich einer grundsätzlichen Bordhygiene. Das EC Directorate-General for Health and Food Safety (DG SANTE) hat in einer Empfehlung ausgesprochen, Luftfilter sollten von geschulten Personen unter Verwendung geeigneter Schutzausrüstungen (PSA) ausgetauscht und als infektiöser Abfall behandelt werden. Die gegebenen Umstände sind allerdings schon für das derzeitige Abfallaufkommen ein schier unlösbares hygienisches Problem.

Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) ortet auch Gefahren in anderen Teilen der Klimaanlagen, z.B. im Befeuchter. Damit es nur bei einer harmlosen Erkältung bleibt, müssen Wartung, Inspektion und Reinigung von Klimaanlagen nach genauen Wartungsplänen durchgeführt werden, verlangt der VDI.

Dr. Daniela Schmid, Leiterin der Abteilung Surveillance und Infektionsepidemiologie in der AGES, sieht eher Vorteile bei raumlufttechnischen Anlagen, weil gefährliche Aerosole, die bis zu 10 Minuten im Schwebezustand Personen infizieren können, durch Klimaanlagen rascher abziehen. Allerdings ist das noch Gegenstand intensiver Forschung.

Entwarnung gibt auch Virologin Dr. Monika Redlberger-Fritz von der MedUni Wien für moderne Klimaanlagen. Sie hält die Verbreitung des gefährlichen Coronavirus über solche Geräte für unwahrscheinlich. Ihr Kollege, Prof. Dr. Hans-Peter Hutter, vom Institut für Umwelthygiene und Umweltmedizin der Universität Wien bestätigt das grundsätzlich. Aber: „In alten, schlecht gewarteten Klimaanlagen kann es zu anderer mikrobieller Verunreinigung der Atemluft kommen.“

Der friesische Hotelchecker, Hygienesachverständige und Sicherheitsexperte Ulrich Jander hält Ozon im Zusammenhang mit schlechter Luft, für eine gute Sache. Spezielle Luftreinigungsgeräte, wie sie in Hotels schon vielfach zur Anwendung kommen, können zur Luftentkeimung und Reinigung betrieben werden.

Alle Experten unterscheiden zwischen modernen Frischluftanlagen und alten Dreckschleudern oder schlecht gewarteten Anlagen. Bei Umluftanlagen, bei denen die Luft mit Ventilatoren innerhalb des Raumes im Kreis transportiert wird, ist eine Viren Vertragung von Raum zu Raum grundsätzlich nicht auszuschließen.

Viele angekündigte Änderungen an Bord werden ohne schiffbauliche Maßnahmen – wie das zum Beispiel Manor Marine schon gemacht hat – nur schwer durchführbar sein. Auch organisatorische Änderungen und bessere legistische Vorgaben werden notwendig werden. Die Einhaltung von Abstandsregeln, die nicht nur unter Corona wichtig sind, können in engen Gängen/Treppen etc. nicht eingehalten werden. Das wird man bei künftigen Schiffsbauten berücksichtigen und sich an alte Entwürfe erinnern müssen. Zu einer Zeit, als Bewegungsfreiheit und vor allem offene Räume an Bord noch nicht als totes Kapital verstanden wurden, hatten die Leute auch mehr natürliche Luft.

Hygienebestimmungen an Bord sind ein uraltes Thema. Man wusste in der Seefahrt schon sehr früh, dass Gesundheit ohne Hygiene nicht funktioniert. In jüngerer Zeit hat man das offensichtlich vergessen, weil sich die Schifffahrt selber von ihrem ursprünglichen Zweck entfernt hat. Man spricht heute ja auch nicht mehr von einem „Kabinenschiff“, sondern von einem „schwimmenden Hotel“. Aber es gibt professionelle Angebote, die abgestimmt auf den Bordbetrieb, Verbesserungen möglich machen. Dabei hilft die langjährige Erfahrung mit dem Gewerbe Schifffahrt in allen Bereichen, wie sie beispielsweise DNV-GL (My Care oder CIP-M certification), oder Bureau Veritas (Restart your Business) vorweisen können. Auch das Marinearchitektur- und Marinetechnikunternehmen Foreship nützt beim Project Hygiea die Erfahrung im Umgang mit Schiffen.

Eine kurze Umfrage unter den Schiffsbetreibern zeigt, wie unterschiedlich der Zugang zum Thema Klimaanlagen/Hygiene sein kann. Auf die Fragen, wie man bisher mit der Wartung der Klimaanlagen auf den Schiffen umgegangen ist, nach welchen Richtlinien die Wartung durchgeführt wurde und ob diesbezüglich jetzt Änderungen geplant seien, antwortet die Reederei A-ROSA, dass sie alle Schiffe mit einer Raum-Luft-Anlage bestehend aus Frischluft, Umluftkonditionierung und Abluft ausgestattet hat. In den Kabinen wird Frischluft von außen nach innen angesaugt, gefiltert und zugeführt. Jeder Bereich und jede Kabine haben ihre eigene Abluft und Frischluftzufuhr. Zusätzlich sind an den Lüftungsgeräten F7-Feinfilter verbaut, welche die Partikel zwischen 0.5-50μm herausfiltern.

Über die Lüftung sind einzelne Bereiche nicht miteinander verbunden. Die Anlagen werden in einem jährlichen Zyklus einer umfangreicheren Wartung durch speziell zertifizierte Firmen unterzogen. Bei dieser technischen Untersuchung werden insbesondere die Verdichter, Wärmetauscher, Verdampfer und Armaturen geprüft. Zudem findet eine umfangreiche Reinigung der gesamten Anlage statt, es wird nach Undichtigkeiten gesucht und beschädigte Isolierungen werden ausgebessert. Die genannten Maßnahmen dienen in erster Linie der effizienten und sicheren Funktionsweise der Anlage mit einem besonderen Hauptaugenmerk auf die Themen Umweltschutz und Energieverbrauch. Ein Austausch der Filtersysteme fand bisher regelmäßig im laufenden Betrieb durch speziell ausgebildete Crew-Mitglieder statt. Den Zyklus für die Auswechslung haben wir nun auf eine Regelmäßigkeit von ca. zwei Monaten geändert, um denen von uns selbst auferlegten Hygieneanforderungen gerecht zu werden – sagt A-ROSA.

River Advice, Betreiber von rund 100 Flusskreuzfahrtschiffen, möchte festhalten, dass sie alle Anlagen durch zertifizierte Betriebe und Vertragshändlern der jeweiligen Hersteller warten und instand setzen lassen. Die eigenen Mitarbeiter werden zudem von den jeweiligen Fachfirmen geschult und ausgebildet. Die jeweiligen Wartungsintervalle ergeben sich aus den Bedienungsanleitungen der Anlagen/Installationen. Die Fachfirmen müssen einen Nachweis erbringen, dass ihr Personal für die angefragten Arbeiten geschult und ausgebildet ist. Außerdem werden die Schiffe von den Firmen auch in der Saison besucht, um die Anlagen zu warten und das jeweils anwesende Personal zu schulen. Zudem werden nach den Wartungsarbeiten Zustandsberichte von den Firmen erstellt und an uns übermittelt. Die Lüftungskanäle (auch Küche) werden ebenfalls von einer Fachfirma gereinigt, auch diese muss uns einen Abschlussbericht inklusive Fotodokumentation übergeben.

UNIWORLD, die US-Reederei mit Schiffen in Europa und anderen Ländern, deklariert “All air-conditioning filters are cleaned and disinfected on each embarkation day before rooming takes place”. Da die meisten Flusskreuzfahrtschiffe mehr als 60 Passagierkabinen, zusätzlich öffentliche Räume und mehr als 25 Mannschaftskabinen haben, dürfte der dafür notwendige Zeitaufwand beträchtlich sein. Uniworld versichert aber, „es dauert nicht allzu lange eine Klimaanlage zu reinigen und gleichzeitig zu desinfizieren. Mit genügend Personal ist das absolut machbar“.

CESNI (Comité Européen pour l’Élaboration de Standards dans le Domaine de Navigation Intérieure), will das aktuelle Arbeitsprogramm 2019-2021 vor dem Hintergrund der Gesundheitskrise überprüfen. Auch sollten begründete Anpassungen (einschließlich Änderungen der Prioritäten) vorgeschlagen werden, um auf die dringenden Probleme im Zusammenhang mit der Covid-19-Krise einzugehen, ohne dabei jedoch die Sicherheits- und Nachhaltigkeitsziele zu behindern. Dies entspricht ebenfalls den Forderungen der Schifferverbände EBU/ESO. In ihrer Sitzung im Juni wird die CESNI/PT-Arbeitsgruppe (technische Vorschriften) die Maßnahmen erörtern, die der Binnenschifffahrtssektor im Zusammenhang mit der Pandemie ergriffen hat. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Frage der Klimaanlagen in einer sanitären Logik erwähnt wird, in Analogie zum maritimen Sektor. Gegenwärtig sieht ES-TRIN in Artikel 15.06 (Unterbringung) Mindestanforderungen vor, aber keine besonderen Vorschriften für Fahrgastschiffe (außer 19.06(18) für Kabinen ohne Fenster). Das (CESNI)Sekretariat kann dem Wunsch der Mitglieder der Arbeitsgruppe, zusätzliche Maßnahmen in ES-TRIN zu verabschieden, jedoch nicht vorgreifen.

Womit wir bei den maßgeblichen Vorschriften bezüglich Lüftung (Klimaanlagen) und Hygiene sind. Der Europäische Standard der technischen Vorschriften für Binnenschiffe (ES-TRIN) regelt wie CESNI schon angemerkt hat im Artikel 15.06 die Mindestanforderungen bei der Unterbringung an Bord.

Das Wort Hygiene kommt jedoch nur im Zusammenhang mit den hygienischen Anforderungen an Arbeitsplätzen im Schiffsinneren (Artikel 14.08) vor. Wohl deshalb, weil die Grundregel lediglich besagt, dass Schiffe nach den Regeln der Schiffbautechnik zu bauen sind. Allerdings: Wohnungen müssen so gebaut, eingerichtet und ausgerüstet sein, dass sie den Bedürfnissen der Sicherheit, der Gesundheit und des Wohlbefindens der Personen an Bord entsprechen (Artikel 15.01 2.).

Daraus ließen sich an sich schon grundsätzliche Hygienevorschriften ableiten. Allerding ist dann nebulos von „ausreichend“ und „zweckmäßig“ unter allen klimatischen Bedingungen die Rede und dass Räume ohne natürliche Belüftung an eine Lüftungsanlage angeschlossen sein müssen (dass und unter welchen Voraussetzungen sie funktionieren muss, steht da nicht drinnen). Schon die allgemeinen Mindestanforderungen sind trotz Einhaltung aller Vorschriften im Normalfall kaum gegeben. Unter Corona Bedingungen kann zumindest die Besatzung nicht mit der Erfüllung von Mindestanforderungen an Bord rechnen.

Die standardmäßige Doppelbelegung aller Crew-Kabinen, lässt den Bewohnern zum Beispiel gerade so viel Raum, dass sie sich in eingeatmetem Zustand knapp ohne Körperkontakt bewegen können. Dabei gilt zu bedenken, dass auch noch dreifach Belegungen möglich sind. Außerdem, der ohnehin stark begrenzte Freiraum auf Passagierschiffen für die Besatzung, ist natürlich nur wetterabhängig und über weite Strecken wegen verminderter Brückenhöhe, gar nicht nutzbar. Als Alternative steht dann der einzige für alle (mehr als 50) Besatzungsmitglieder zugängliche Aufenthaltsraum (Messe) zur Verfügung. Der ist räumlich aber auch nur für die Hälfte der Besatzung geeignet. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Binnenschiffe – insbesondere Flusskreuzfahrtschiffe – so zugelassen und gebaut sind, dass sie etwa den Mindestanforderungen der halben erlaubten Crew Anzahl entsprechen. Ähnliches gilt für die Passagiere. Ihre höchstzulässige Anzahl richtet sich nach Kriterien wie etwa Stabilität und Anzahl der Betten. Grundlegende Mindeststandards, die nicht nur in Coronazeiten notwendig wären, können von den baulichen Gegebenheiten her nicht berücksichtigt werden. Auch für Passagiere genügt „eine Lüftungsanlage“ für alle Kabinen ohne zu öffnende Fenster. Wollen Reedereien jetzt alle Corona-Regeln konsequent befolgen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Zahl der Passagiere und Mannschaft zu
reduzieren.

Vorschriften sind bekanntlich eine Sache, aber die besten Regeln sind nichts wert, wenn deren Einhaltung nicht kontrolliert wird, oder wenn Regeln nicht mehr, als eine gute Absicht widerspiegeln. Vergleichend kann man die Gesundheitserklärung ansprechen, die jetzt alle Passagiere/Besatzungen an Bord abgeben müssen. Diese Dokumente können aber nur eine Momentaufnahme sein und selbst wenn sie eine negative Infektionsgefahr bestätigen, liegt damit kein Freibrief vor. Mindesten ebenso wirksam oder unwirksam sind die standardmäßig durchgeführten medizinischen Kontrollen an Bord in einigen Balkanländern beim Grenzübertritt. Dort gibt es wenigstens noch den Willen zur Kontrolle der Hygiene vor Ort, welcher andernorts vernachlässigt wird. Das zuständige Verkehrsarbeitsinspektorat für den Donaubereich in Österreich entschuldigt sich mit dem Hinweis, dass die Personaldecke ziemlich dünn ist. Gerade mal 0,5 Mannjahre stehen für die anstehenden Aufgaben zur Verfügung… (BP)

Quelle: Binnenschiff Journal 3/2020

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