Klimawandel ist nicht gleich Klimawandel

Die unvorstellbare Kluft zwischen Wissen und Handeln einer Gesellschaft, von der wir glauben, dass sie die intelligenteste auf dem Planeten ist, macht den Wissenschaftler Reiner Klingholz sprachlos. Wir wissen genau, was wir warum tun sollen, aber wir machen es nicht, sagt er im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Das ist ein Phänomen, dass man als Schizophrenie bezeichnen muss, lautet die ernüchternde Diagnose des Forschers über unsere Gesellschaft.

Seit einigen Jahren weiß man in der Binnenschifffahrt, dass die Klimaveränderungen ein Umdenken im Gewerbe zwingend erforderlich machen. Abgesehen von ein paar ambitionierten Studien, hat man zuvor den Kopf in den Sand gesteckt, entscheidende Jahre ungenützt verstreichen lassen und gemeint, uns wird das schon nicht betreffen. Damit die Logistikprozesse der Zukunft den Anforderungen weiterhin entsprechen können, hätte man jedoch schon vor Jahrzehnten proaktiv reagieren müssen. Schmerzhafte Erfahrungen, zuletzt im Jahr 2018, haben die Verwundbarkeit des Gewerbes bei Extremwetterlage unerbittlich aufgezeigt. Dazu kommt die nicht mehr übersehbare Häufigkeit von außergewöhnlichen Ereignissen. Insgesamt hat sich der Fokus in der Binnenschifffahrt jetzt darauf gerichtet, Wege zu finden, wie man auf Niederwasserperioden reagieren kann. Schneller als das Gewerbe selbst, hat die Verladerschaft kurzfristig bereits Maßnahmen umgesetzt, um wenigstens bei Niederwasser besser gerüstet zu sein. Aber es ist längst nicht das Niederwasser allein, womit die nasse Logistik künftig fertig werden muss.

Land unter! Es ist Juli 2021, mitten im Sommer und vielerorts ist es wieder unerträglich heiß. Die Binnenschifffahrt erwartet schon die nächste Niederwasserkatastrophe. Aber es sollte anders kommen. Über Tage hinweg trafen großflächige, intensive Regenfälle auf bereits stark feuchtigkeitsgesättigte Böden. In der Folge entwickelten sich regional besonders ausgeprägte Hochwassersituationen mit zum Teil katastrophalen Ausmaßen, berichtete die Bundesanstalt für Gewässerkunde. Von den zunächst kleinräumig auftretenden Fluten sind mit Ausnahme des Rheins und der Mosel die großen Bundeswasserstraßen anfangs weniger betroffen. Die anhaltenden und intensiven Niederschläge verschärfen die Situation aber von Minute zu Minute und die Pegelstände steigen sprunghaft an. Wie eine Flutwalze breiten sich die Wassermassen über Westeuropa bis tief hinein in das Donaugebiet aus. Anders als bei starken Hochwasserlagen zuvor, sind diesmal in kurzer Zeit sehr viele Tote zu beklagen, die entweder von den Wassermassen mitgerissen, oder in ihren Häusern überrascht und eingeschlossen wurden. Es ist für die Betroffenen die Apokalypse. Man kann es nicht anders beschreiben und es ist den Überlebenden ins Gesicht geschrieben: Das ist das Ende und wie es weiter geht wissen wir nicht. Für die Binnenschifffahrt heißt es in solchen Situationen, sie braucht kein Niederwasserschiff und auch kein Hochwasserschiff. Die Binnenschiffer sind gut beraten, möglichst den nächsten sicheren Hafen aufzusuchen und einfach abzuwarten. Hochwässer haben für die Binnenschiffe einige Gefahren parat, denen man sich besser nicht aussetzen sollte. Eine Gefahr ist beispielsweise das begleitende Treibgut bei Hochwasser, das flächendeckend und großdimensioniert auftreten kann.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Flutkatastrophe in Deutschland, aber auch in Österreich, werden schlimme Ereignisse wieder pauschal dem Klimawandel in die Schuhe geschoben. Es ist schon fast egal, was wo auf der Welt passiert, sofort sind Umweltexperten und Politiker, rapportiert von den Medien, zu Stelle und machen den Klimawandel zum Sündenbock. Tatsächlich zeigt uns der Klimawandel nur die Folgen der von uns verursachten Entwicklung. Wir sollten dem Klimawandel also dankbar sein. Ohne ihn hätten wir noch immer nicht begriffen, dass wir auf dem falschen Dampfer fahren. Vermutlich ist es eine Sauerstoffunterversorgung im Gehirn, wenn Zeitgenossen eigene Defizite dem allgemeinen Klimawandel unterschieben. Vielleicht ist es aber auch die bedingungslose Kapitulation der Politik vor der unersättlichen Wirtschaft. Dann wären es keine handwerklichen Fehler, sondern schlicht Ignoranz. Wie anders ist es sonst zu erklären, dass zum Beispiel eine gefährliche Kiesgrube in ein Siedlungsgebiet hineingebaut wird? Dass das eine explosive Entscheidung ist, weiß jeder Depp. Dazu ist eine fachspezifische Ausbildung nicht notwendig. Grundsätzlich dürfte inzwischen die „Erfahrung“ mit Hangrutschungen ausreichend sein. Erst vor etwa zehn Jahren hat „die Natur“ ein Giftschlammbecken in Ungarn entleert und eine rote Apokalypse hinterlassen. Wer sich mit solchen Bildern im Hintergrund dennoch bei der Katastrophenvisite hinstellt und mahnt, man möge den Klimawandel doch ernst nehmen oder von verstörenden Auswirkungen faselt, den sollte man von jeder Verantwortung befreien. Ja, wir haben einen Klimawandel und der wird uns noch lange schwer beschäftigen. Wir haben aber auch einen Klimawandel in den Köpfen derer, die als Trittbrettfahrer des Klimawandels, diesem alles an selbstgemachten Fehlern in die Schuhe schieben. Man kann diese Zeitgenossen auch daran erkennen, dass sie bei jeder Gelegenheit von einer notwenigen Resilienz sprechen. Man kann schließlich nichts machen, folglich sollen wir lernen, mit Katastrophen umzugehen.

Einer dieser „Experten“ ist österreichischer Bundeskanzler. Er hat vor dem Hintergrund der aktuellen Klima Ereignisse gemeint, wir sollten uns den Spaß nicht verderben lassen. Statt zu verzichten und die falschen Lebensgewohnheiten zu ändern, predigt er weiter wie bisher. Alles andere wäre ein Schritt zurück in die Steinzeit. Vielmehr soll sich die Wissenschaft und die Technik darum kümmern, dass wir möglichen Folgen unserer Blödheit begegnen und überleben können. In der Mythologie steht die Undine, ein jungfräulicher Wassergeist für die Welle. Ist es vielleicht unsere morbide Vorsehung, dass wir durch eigenes Unvermögen dazu bestimmt sind, den Verlockungen der Nymphen zu erliegen und irgendwann in den Fluten umzukommen? Die österreichische Nymphe Sebastian Kurz erklärt, es ist alles nicht so schlimm. Wir schaffen das. Wir müssen auf nichts verzichten und können unseren gewohnten Lebensstil uneingeschränkt fortsetzen. Nur wenige Zeitgenossen haben leichte Vorbehalte zu diesen Verlockungen angemeldet. Die große Masse stimmt in Goethes Ballade vom Fischer mit ein:

Das Wasser rauscht‘, das Wasser schwoll,
Netzt‘ ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war’s um ihn geschehn;
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und ward nicht mehr gesehn.

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