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Lernen vom Fluss

Von Christina Gruber

Schon Kampfsportkünstler Bruce Lee wusste über die Wichtigkeit von Wasser zu berichten, besonders wenn es in Beziehung zu anderen Körpern tritt. In einem Interview aus dem Jahre 1971 berichtet er eindrucksvoll innerhalb von 31 Sekunden von der Dringlichkeit und Unumgänglichkeit wie Wasser zu sein: “Empty your mind. Be formless, shapeless, like water. You put water into a cup, it becomes the cup. You put water into a bottle, it becomes the bottle. You put it in a teapot, it becomes the teapot. Now water can flow, or it can crash. Be water, my friend.”

Wasser kann fließen oder zerstören

Wie könnte ein Danach aussehen, wenn wir unsere wässrigen Körper akzeptieren und uns an den Fließverhältnissen von Flüssen orientieren? Der Crash ist in vollem Gange, eine Pandemie legt große Teile der globalisierten Welt lahm und die tägliche Berichterstattung ähnelt immer mehr dystopischen Science-Fiction Szenarien gepaart mit aktuellen Waldbränden, Überflutungen und auftauenden Permafrostböden. Trotz der auferlegten kurzen Stille, als große Teile der menschlichen Maschinerie sich in einem Lockdown befanden, wurde nicht klar, dass Pandemie und Klimawandel eng miteinander verwoben sind.

Auf aquatische Ökosysteme umgelegt bedeutet dies seit Jahrzehnten einen Rückgang der Fischbestände in Fließgewässern; zwischen 1970 und 2014 um 83%.[1] Hauptgründe für den Verlust an Biodiversität sind hier die kontinuierliche Regulierung der Fließgewässer zur Sicherung von Siedlungen, Schifffahrt und dem Gewinn landwirtschaftlicher Flächen. Zusätzlich stellen Querbauwerke wie Wasserkraftwerke unpassierbare Hindernisse für viele Fischarten dar. Erst durch das Ausbleiben wurden die Auswirkungen der Flussregulierungen nach und nach bewusst, die meisten fanden in den letzten 150 Jahren statt und haben Flüsse in ein enges Bett geschnürt. Im Danach wird die Wichtigkeit von Konnektivität (Längsdurchgängigkeit und Quervernetzung zwischen Fluss und Au) im Vordergrund stehen und somit das Wasser und uns wieder fließen lassen. Dafür braucht es Raum und Zeit.

Erste Schritte in diese Richtung werden jetzt schon getroffen. In Bangladesch haben Flüsse seit 2019 den gleichen Rechtsstatus wie Menschen, somit finden allmählich mehr-als-menschliche Akteure Einzug in die Gesellschaft, wie es Bruno Latour, schon 2009, in „Das Parlament der Dinge“ beschrieben hat. Falls wir diese Umschichtung nicht stärker fordern, werden Dammbrüche unaufhaltbar sein.

Im Danach werden wir verstehen, dass unsere Umwelt sich aus offenen Begegnungen zwischen organischen und anorganischen Lebewesen zusammensetzt, wie Anna Tsing anhand des Matsutake Pilzes in „Der Pilz am Ende der Welt“ beschreibt und so zum Hauptakteur in den kapitalistischen Ruinen einer globalisierten Welt wird. Klare Abgrenzungen von Körpern lösen sich auf und wir werden uns eingestehen, dass wir immer nur aus vielen bestehen. Unsere wässrigen, nassen Oberflächen sind porös, transpirieren, nehmen auf und geben ab.[2]

Denken wie ein Fluss

Angelehnt an die Haupteigenschaft von Flüssen ihre eigene Geschichte ständig und konstant neu zu schreiben, könnte ein Agieren im Danach aussehen. Aufgrund ihrer physikalischen Beschaffenheit mäandern Flüsse durch den Raum, hinterlassen Spuren und verändern ihn. Sinuierende Linien, die wie Adern die Erdoberfläche verbinden, können sie trennen und ihnen Leben einhauchen zugleich. Von der geomorphologischen Perspektive aus betrachtet sind Flüsse eine der größten Unbekannten, schwer zu datieren und immer in Bewegung. Flüsse akkumulieren auf der einen und erodieren auf der anderen Uferseite. Präzise Aussagen sind schwer zu tätigen und somit schreiben sie die Geschichte täglich neu. Die gestern angeschwemmten pleistozänen Goldsande sind am nächsten Tag verschwunden und eine weitere Schicht kommt zum Vorschein. Diese Unbekannte ist repräsentativ für das Leben mit Flüssen, war und wird es immer sein.

Ein Navigieren im Raum, auch im Danach, setzt Anpassungsfähigkeit voraus und ein gezieltes Wahrnehmen (sensing). Wir müssen unsere eigenen Sinne schärfen, um wieder eine Art der Fürsorge, in Form von Solidarität, für unsere Umwelt zu übernehmen. Technologie könnte uns hierbei aber auch helfen, Trittsteine zu setzen, um ein Eintauchen in unsichtbare, schlammige Welten zu ermöglichen. Seit mehreren Jahren ist der Einsatz von Unterwassermikrofonen üblich, um Daten über Fließgewässer zu sammeln. Im Detail werden damit Sedimenttransport, Migrationsbewegungen von Wasserorganismen, aber auch anthropogene Einflüsse wie Lärmbelastung gemessen. In den meisten Fällen bleiben diese Aufnahmen für menschliche Ohren ungehört und werden von Algorithmen analysiert. Was aber, wenn wir beginnen gesamte Einzugsgebiete zu hören? Diese Klänge des Wasserkreislaufs ermöglichen somit eine Annäherung an das vermeintlich „Andere“. Flüsse sind nie still und geben Einblicke in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Fossile Wasser vermischen sich mit dem Kühlwasser aus Datenzentren und bilden die Sumpflandschaften für Raketenversuche. Somit lösen sich lineare Zeit-Raum Gefüge auf. Der Wasserkreislauf ist kein System, das kontrolliert werden kann und genau so wenig sind es Flüsse.

Wahlverwandtschaften

Im Danach geht es darum, sich auf Beziehungen mit nicht-menschlichen Gefährten einzulassen. Diese Verbindungen ermöglichen auch unter Zugzwang Verantwortung zu übernehmen und bewusst zuzuhören. Unterwassertonaufnahmen dienen nun nicht nur der Datengewinnung, sondern auch der Annäherung an aquatische Lebensräume. Fische hören mit ihrem gesamten Körper und nehmen Wasserschwingungen mit dem Seitenlinienorgan wahr. Dieses ausgeklügelte Sensorium hilft Fischen, sich auch in den trübsten Gewässern vor Feinden zu schützen. Bei Menschen könnten die Faszien als verbindendes Spannungsnetzwerk dieses Navigieren im Trüben – und nichts anderes ist Danach – möglich machen.

Be water my friend!

 

[1] www.livingplanetindex.org (2019). Abgerufen am 6.12.2020

[2] Neimanis, Astrida (2017). Bodies of Water. Posthuman Feminist Phenomenology. Bloomsbury Academic.

Christina Gruber ist Künstlerin und Gewässerökologin. Sie arbeitet an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft. In ihrem Schaffen befasst sie sich mit gesellschaftlichen Phänomenen und deren Effekten auf die Erdoberfläche. Sie stellt international aus und hält Lecture-Performances und Talks in Museen, auf Festivals und Konferenzen. Christina Gruber ist wiss. MA am Institut für Hydrobiologie/BOKU Wien und arbeitet dort zur Wiederbesiedlung des Störs in der Donau. Wasser ist für sie das Element, das alle Dinge auf der Erde gemeinsam haben – von Wolken bis zu Datenzentren.

 

Mit freundlicher Genehmigung: Erstprintangabe erschienen im gfk Magazin #1/2021 DANACH. Eine Frage der Kultur – Gesellschaft für Kulturpolitik Oberösterreich.

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