Military mobility auf Wasserstraßen

Es ist eine traurige Offenbarung, denn es hat einen Krieg gebraucht, damit die Politikerinnen Land auf und Land ab endlich begriffen haben, dass sich die Donau nicht nur als Metapher der Internationalität, sondern auch als Verkehrswasserstraße nutzen lässt. Aus der Geschichte nichts gelernt!

Text: Peter Baumgartner

Aber anders als zur Zeit der Römer, wird es für die Förderer der (dual-use)Mobilität keine monumentale „von der Leyen – Ehrensäule“ geben. Putin wird vielleicht Ehrenpräsident der NRA (National Rifle Association of America), aber ein Denkmal wird man ihm auch keines setzen. Selbst an die Architekten der großen Infrastrukturbauten im Zeichen der militärischen Mobilität wird man sich in wenigen Jahren nicht mehr erinnern. Anders als beim Brückendenkmal des Apollodoros von Damaskus in Turnu Severin, können sich heutige Brückenbauer sicher sein, dass ihre Bauten nicht 2000 Jahre überdauern, sondern schon nach wenigen Jahren „recycelt“ werden, weil sie zerbröselt sind. Straßen im Trans-European Transport Network (TENT), werden nicht wie zum Beispiel die „Traijan-Straße“ via iuxta danubium, im kollektiven Gedächtnis verankert, sondern erinnern höchstens in ein paar Jahren an irgendeinen Bauskandal.

TABULA TRAIANA zur Erinnerung an die via iuxta danubium. Bild: IBBS

Seit Jahrzehnten ist die Donau nun Testfeld und Forschungsgebiet für alle möglichen wissenschaftlichen Untersuchungen. Das kostspielige Endergebnis liefert jeweils bunte Projektpapiere und Ankündigungen, die alle einen gemeinsamen Nenner haben: Sie haben bisher keine Tonne Güter mehr auf die Wasserstraße gebracht. Dafür haben sie Legionen von Studentinnen beschäftigt, die dem Selbstzweck ihrer Universitäten gedient haben. Dann kam der Krieg in der Ukraine im Morgengrauen des 24. Februars. Plötzlich – in Ansätzen schon ausgelöst durch Corona, hat man sich auf die Donau als wichtigen Transportfaktor besinnt, denn sie ist eine natürliche Infrastruktur und kann einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. Mit dem Ausbruch des russisch-ukrainischen Krieges und dessen unmittelbaren Folgen für die Seehäfen am Schwarzen Meer war plötzlich klar, dass jede verfügbare Transportreserve genutzt werden muss, um insbesondere den Getreide- und Rohstoffexport der Ukraine aufrechterhalten zu können. Zuerst hat die Ukraine bemerkt, wie wichtig die Donau für das Land ist. Und jetzt hat die EU endlich realisiert, dass man die Donau als logistische Achse zwischen West und Ost nicht ignorieren kann. In Friedenszeiten hat die Verkehrskommissarin noch versprochen, sie wird den ökologischen Fußabdruck im Verkehr reduzieren und Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität setzen. Passiert ist das Gegenteil. Der Straßenverkehr hat zugenommen und die Luftqualität wurde noch schlechter. („Some government and business leaders are saying one thing – but doing another. Simply put, they are lying”/Antonio Guterres, Secretary-General/4.3.2022).

Gemeinsame Pressekonferenz des rumänischen Ministerpräsidenten Nicolae-Ionel Ciuca, des bulgarischen Ministerpräsidenten Kiril Petkov und der für Verkehr zuständigen EU-Kommissarin Adina Vălean am 29. April 2022 in Bukarest. Bild: GOV/RO

Ende April ist die Verkehrskommissarin Adina Vălean nach Rumänien gepilgert, um sich mit den bulgarischen und rumänischen Regierungschefs auszutauschen. „Im Zentrum der heutigen Diskussion stand die Donau“, verkündete Vălean nach dem Treffen. „Die Donau ist neben dem Rhein das Rückgrat für den europäischen Flussverkehr, der auch mitten in der europäischen Verkehrspolitik steht, weil es ein sehr nachhaltiges Verkehrsmittel ist.

Man glaubt es kaum, mit dieser „Erleuchtung“ stand die EU-Verkehrskommissarin tatsächlich da und verkündete das Gegenteil von dem, was sie jahrelang gemacht hat, als neue Wahrheit. Und es ging in dieser Tonart sogar noch weiter. Die Europäische Kommission wird auch andere Verkehrsinfrastrukturprojekte an der Donau in Rumänien und Bulgarien unterstützen. Dazu gehören Hafen- und Brückenprojekte und auch eine neue Donaufähre zur Beschleunigung des Verkehrs soll bald in Betrieb gehen. Nicolae-Ionel Ciucă und Kiril Petkov versprachen, getreu dem EU-Programm „Fast-Danube“ (das ihnen ein paar Mio. Euro eingebracht hat), sofort mit der Arbeit zu beginnen. „Fast Danube“, muss man dazu wissen, ist eines dieser bunten und teuren EU-Programme für nichts. Es läuft seit 2014 eher im Schneckentempo und der ursprüngliche Plan zur Verbesserung der Navigationsbedingungen auf dem gemeinsamen bulg./rum. Donauabschnitt, ist mehrfach im Sande verlaufen. Musste zwangsläufig im Sande verlaufen, denn genau wie jetzt, vergisst die Verkehrspolitik, dass sich die Ware immer den einfachsten und billigsten Weg sucht. Die Probleme heißen Industrieansiedlungspolitik und Raumordnungspolitik. Das europäische Verkehrsproblem löst man nicht, indem man viele Brücken, Autobahnen, Schienen und Wasserstraßen schafft, gleichzeitig aber auf die Raumordnung vergisst. Die Waren einer Fabrik auf der „grünen Wiese“ in einem Dorf, wo der Ortsvorsteher, dessen Weitsicht an der Ortstafel endet, über die europäische Verkehrspolitik entscheidet, werden nur dann den Weg auf die Wasserstraße finden, wenn es nicht mehr anders geht.

Aber vielleicht ist das eh alles egal und es ist gar nicht Ziel und Aufgabe der Europäischen Union, für eine Sinn stiftende Mobilität zu sorgen denn: „Die Verkehrsinfrastruktur ist für die Ermöglichung einer europäischen Verteidigungsstrategie von entscheidender Bedeutung. Eine verbesserte Mobilität unserer Truppen und Ausrüstung sollte nicht übersehen werden, wenn wir in die Infrastruktur investieren, und Einrichtungen mit doppeltem Verwendungszweck für zivile und militärische Zwecke sind eine große Chance für unsere Union und sollten eine strategische Entscheidung sein.“ Das ist das wahre Leitmotiv der Europäischen Union in der Verkehrspolitik – vorgetragen ebenfalls von der EU-Verkehrskommissarin Adina Vălean, die sich damit als zuständig für die European defence strategy outet.

Zuletzt erklärte die EU-Verkehrskommissarin Anfang April: „Die Verkehrsinfrastruktur Europas ist für unsere Sicherheit von entscheidender Bedeutung. Aus diesem Grund ergreifen wir konkrete Maßnahmen, um Investitionen zu unterstützen, die sie nicht nur für die zivile Nutzung, sondern auch für unsere Verteidigung geeignet machen. Wir finanzieren Projekte im Wert von 339 Millionen Euro, die die Bewegung von Militärtruppen und -mitteln erleichtern und zu einem effizienteren Einsatz unserer Missionen vor Ort führen werden.“ Das ist natürlich nur der Anfang. Ein beschleunigter Ausbau der militärischen Mobilität – auch an den Wasserstraßen, ist beschlossen und wird bereits umgesetzt.

Militärhafen statt Logistikstandort an der Donau. Bild: IBBS

Und alle halten still! Die Medien sowieso, die Verbände und Organisationen auch. Ja, selbst die Gewerkschaften schweigen zur aufkeimenden Bedrohung. Dabei dürfte allen klar sein was es heißt, wenn die Donau und andere Wasserstraßen zu militärisch wichtigen Transportwegen erhoben werden. Selbstverständlich werden die Wasserstraßen mit dieser Entscheidung unverzüglich auch zu bevorzugten Angriffszielen, wie das bereits bei Bahnanlagen der Fall ist. Was das für zivile Binnenschiffer heißt, kann man aktuell in den Häfen am Schwarzen Meer studieren, wo Handelsschiffe mit Raketen beschossen und versenkt werden. Auch hier haben alle jahrelang weggeschaut. Dann hieß es plötzlich „Sorge um Seeleute“ und „Wir fordern, dass alle Handelsschiffe mit ihren Crews die Konfliktzone unbeschadet verlassen dürfen.“ Jedoch, die „Forderungen“ gehen im Raketenlärm unter…

In der Seefahrt hat die International Transport Workers’ Federation (ITF) wenigstens frühzeitig erkannt, dass das Risiko für Seeleute in Krisengebieten schnell lebensbedrohlich werden kann. Anlassfälle gab es ja schon genug. Aber Gegenmaßnahmen, die von ITF in der eigens geschaffenen Joint Negotiating Group (JNG) getroffen werden, können die Seeleute nicht schützen, sondern höchstens das Leid der Hinterbliebenen lindern, wenn ihre Verwandten in einer der „Warlike Operations Areas“ umgekommen sind. Auch die Pilotenvereinigungen haben die zunehmenden Bedrohungen im Luftraum erkannt. Schon 2014 wurde bei der ICAO die Task Force „On Risks to Aviation in Conflict Zones“ eingerichtet. Und in der Binnenschifffahrt? Da warten alle wie hypnotisiert und hoffen darauf, dass eh nichts passiert. Ältere Donauschiffer, wie zum Beispiel der Kapitän Ernst Hinum, ehemals Leiter des DDSG-Schulschiffes, können sich noch an das gefährliche Leben an Bord im 2. Weltkrieg erinnern und davon berichten. Hinum hatte Glück, als eine Mine sein Schiff versenkte und fast die gesamte Besatzung umkam. Binnenschiffer, die kaum geschützt in das Kriegsgebiet Jugoslawien geschickt wurden, wissen ebenfalls was es heißt, „im Krieg“ zu sein. Aber anders als in der Luftfahrt oder in der Seefahrt, ist die öffentliche Wahrnehmung der Gefahren in der Binnenschifffahrt in Vergessenheit geraten, oder noch nicht angekommen. Das wird sich mit der EU-Entscheidung, Wasserstraßen zum militärischen Aufmarschgebiet zu machen, bald ändern. Dann wird es allerdings zu spät sein…

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