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Nasse Logistik: Eine Rückschau auf das Corona-Jahr 2020

2020 – was für ein Jahr! Wer kam nur auf die absurde Idee, diesem Jahr eine Krone aufzusetzen (Corona = Krone)? Zig andere, weniger schmeichelhafte Bezeichnungen, würden wohl besser passen.

Redaktion: Peter Baumgartner.

Es war ein Jahr, das alle Prognosen über den Haufen geworfen hat. Ein Jahr, dessen sich rasch ändernden Entwicklungen weder kurz- noch langfristige Prognosen zugelassen hat. Und es war ein Jahr, dass in seinen vielfältigen Auswirkungen nicht am 31. Dezember endete. Ohne Prophet spielen zu müssen, kann man risikolos sagen, schnell wird sich das Leben 2021 – wenn überhaupt – nicht normalisieren. Zu groß sind die Verwerfungen in weiten Teilen der Gesellschaft. Vielleicht wird man den ganzen Umfang der Ereignisse erst in einigen Jahren abschließend analysieren können.

Wir sind also gut beraten, die positive Erwartungshaltung nicht übermäßig zu strapazieren. Sonst könnte 2021 leicht wieder ein Jahr der Überraschungen werden. Und weil niemand wirklich weiß, wie sich die Pandemie noch entwickeln wird, sollten wir uns darauf konzentrieren, wie wir den Kampf gegen das wirtschaftliche und gesellschaftliche Desaster überleben und gewinnen können. Also die richtigen Lehren aus der Erfahrung ziehen.

Der meist geäußerte Neujahrswunsch 2021 war wohl, es möge ein besseres Jahr werden, als 2020. Paradoxerweise hat die Gesellschaft es eh zu einem Gutteil selber in der Hand, ob dieser Wunsch in Erfüllung geht oder nicht. Schaut man aber etwas weiter über 2020 hinaus zurück, schwindet die Hoffnung, dass wir in der Lage sind, die Zukunft entscheidend verbessern zu können.

Der zweitmeiste geäußerte Neujahrswunsch war nämlich, wir wollen zurück zur „alten Normalität“. Und genau das klingt im Rückblick auf 2020 wie eine gefährliche Drohung. Wenn wir kein 2020 mehr haben möchten, dann darf es keine „alte Normalität“ mehr geben. Dann müssen wir, egal in welcher Ecke sich jeder Einzelne von uns gerade befindet, für unser Leben und Wirtschaften eine Kursänderung vornehmen – und zwar radikal.

2020 hat in der Schifffahrtswirtschaft generell gezeigt, egal ob im Schiffbau oder an Bord, die europäische Gemeinschaft wurde nicht dazu geschaffen, um ungleiche Arbeits- und Sozialverhältnisse zu beseitigen. Die Europäische Union hat offensichtlich vielmehr den Zweck, osteuropäische „Verhältnisse“ als verlängerte Werkbank zu nutzen und entsprechende Vorteile zum Nachteil der dortigen Menschen daraus zu ziehen. Dabei spielt es anscheinend gar keine Rolle, ob Länder wie die Ukraine oder Serbien Teil der EU sind oder nicht. Die postkolonialistischen Tentakel der EU finden ihre Opfer auch jenseits geographischer Grenzen. Dreh- und Angelpunkt dabei ist ebenfalls ein Land, das nicht zur EU zählt. Die Schweiz. Die Schweiz als Festung für Glücksritter jedweder Branchenvertreter der ganzen Welt, erledigt für Europa die Drecksarbeit, damit die „Gemeinschaft“ ihre Hände in Unschuld waschen kann.

Schon zu Beginn der Pandemie berichtete die serbische Gewerkschaft Asocijacije slobodnih i nezavisnih sindikata (ASNS) unter Berufung auf Vojvođanski istraživačko-analitički centar (VOICE) und nach eigenen Nachforschungen, dass eine in Serbien ansässige niederländische Werft, ohne wie üblich, staatliche Corona-Unterstützungen in Anspruch zu nehmen, mehr als die Hälfte der Belegschaft entlassen hat. VOICE und ASNS kritisieren auch die eigene Regierung. „Der Staat beteiligt sich aktiv am Zusammenbruch der Arbeitnehmerrechte weitgehend bereits entrechteter Arbeitskräfte in Serbien.“ Das Bestreben der serbischen Politik ist, ausländische Investoren mit guten, aber billigen Arbeitskräften anzulocken. Ähnlich arbeitnehmerfeindliche Praktiken gibt es auch – in der Schweiz, wo die meisten Flusskreuzfahrtschiffe registriert sind. Ein Schlaraffenland für kreative Steuersparer ist das EU-Land Malta. Obwohl das Land über keine eigene Flussschifffahrt verfügt und auch keine Flüsse hat, sind dort 43 Flusskreuzfahrtschiffe gemeldet, die auf europäischen Flüssen verkehren. Die einträglichsten Exportartikel in Malta sind europäische Pässe und die maltesische Flagge.

Die Gewerkschaft Nautilus meldet im Zusammenhand mit der Diskriminierung osteuropäischer Beschäftigter bei Arbeitslosigkeit, dass die meisten Beschäftigten mit Wohnsitz in einem osteuropäischen Land, nach ihren Einsätzen für westeuropäische Firmen, für die sie ordentliche Beiträge in die jeweilige westeuropäische Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, bei Arbeitslosigkeit nur den in ihrem Heimatland geltenden, meist gedeckelten niedrigen Tarif erhalten. So hat etwa ein Nautilus-Mitglied aus Rumänien von 3300 Euro Gehalt ordentlich Beiträge für die Arbeitslosenversicherung geleistet. Nun bekommt der Binnenschiffer 75 Euro Arbeitslosengeld, während seine deutschen oder holländischen Kollegen knapp 2000 Euro bekommen. Noch schlimmer geht es ukrainischen Binnenschiffern, die von ihren Reedereien in der Schweiz gekündigt werden. Sie haben im Heimatland weder Anspruch auf Arbeitslosengeld noch auf Sozialhilfe. Auch von der Corona-Kurzarbeitsregelung, die von vielen Flusskreuzfahrern in Anspruch genommen werden kann, können sie nicht profitieren. Mangelnde soziale Rechte für Arbeitnehmer in der Schweiz (und in der EU sowieso) urteilt Nautilus. Erbärmlicheres kann man über eines der reichsten Länder auf dieser Welt wohl kaum noch sagen.

IndustriAll, die European Trade Union, ortet im Zusammenhang mit der Pandemie eine Zunahme von prekären Arbeitsverhältnissen und Sozialdumping in der gesamten Maritimen Industrie und beklagt, dass der zum Teil massive Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen die durch COVID-19 erforderlichen Hygienemaßnahmen teilweise konterkariert werden. Immer wieder wird auch betont, dass es an Bord ausgefeilte Hygienekonzepte für Passagiere und Besatzungen gibt. Allein, wie lediglich die Abstandsregeln in Crew-Kabinen eingehalten werden sollen, die zweifach – manchmal sogar dreifach – belegt und kaum größer als eine Schuhschachtel sind, musste bisher niemand erklären. Kein Wunder, dass trotz tauber und blinder Medien einige Coronafälle an Bord bekannt wurden. Die Gewerkschaften fordern jedenfalls ein europäisches Konjunkturprogramm, bei dem die Beschäftigten im Mittelpunkt stehen.

Neben all den arbeitsrechtlichen Problemen, die es in der Binnenschifffahrt und im Schiffbau gibt, hatten 2020 Arbeitnehmer dieser Bereiche auch zusätzlich unter teils absurden Reisebestimmungen zu leiden. In den ersten Wochen gab es nicht mal grenzüberschreitende Informationen zu Corona-Regelungen, nach denen sich die Leute richten konnten. Manche saßen über Wochen auf ihren Schiffen fest und einige konnten selbst trotz abgelaufener Verträge das Schiff nicht verlassen. Selbst die notwendige Selbstversorgung wurde in Einzelfällen zum Spießrutenlauf. Erst in der zweiten Hälfte der Pandemie normalisierte sich die Informationspolitik und einheitliche Regeln verschafften Planbarkeit. Somit konnten persönliche Landgänge oder grenzüberschreitende Personalwechsel halbwegs normal ablaufen.

Passagierschifffahrt.
Das dynamische Wachstum in der Flusskreuzfahrt ist mit dem Ausbruch der Pandemie quasi ungebremst an die Wand gefahren. Zum Jahresbeginn 2020, als das Drama seinen Lauf nahm, befanden sich die Flusskreuzfahrtschiffe noch gar nicht in Fahrt. Der kurz bevorstehende Saisonbeginn versprach, wie gewohnt, wieder Milch und Honig für die Branche. Kaum eine andere touristische Einrichtung, konnte in den letzten 20 Jahren derart kontinuierlich wachsen, wie die Flusskreuzfahrt. Zuletzt lag der Zuwachs bei der Nachfrage bei 10 Prozent und die Passagieranzahl auf allen Wasserstraßen in Europa lag bei 1,8 Mio. Hauptverantwortlich für die steigenden Zahlen, war die Nachfrage aus Übersee. Länder wie USA, Kanada oder Australien, brachten etwa 50 Prozent der Passagiere nach Europa. Nirgendwo gibt es heute mehr Flusskreuzfahrtschiffe, als in Europa und hier konnten bis 2019 alle Destinationen kräftig zulegen. Manche sogar über 30 Prozent.

Laut Statistik gab es 2019 in Europa 378 Schiffe mit insgesamt fast 55.000 Betten, wobei die größten Schiffe 190-196 Betten haben. Nicht eingerechnet in die Statistik sind jene kleineren Kabinenschiffe, die maximal 40 Betten haben, aber speziell in Frankreich und Holland einen erheblichen Anteil in der Flusskreuzfahrt darstellen. Trotz, oder gerade wegen der positiven Statistik, die die Flusskreuzfahrt bis 2019 geprägt hat, war das meist verwendete Wort zum Ende der Saison 2019: Overtourism.

Vielerorts konnte nämlich die Infrastruktur mit dem enormen Wachstum nicht mehr mithalten. Auch die Umweltbelastung durch die Kreuzfahrtschiffe, wurde in manchen Kommunen als problematisch wahrgenommen. Dann kam 2020 und aus dem Overtourism wurde schlagartig ein Undertourism. Hauptverantwortlich für die Kehrtwende war der große Anteil an Überseegästen, denen jede Einreisemöglichkeit verwehrt wurde. Hier rächte sich der Fokus auf einen volatilen Markt nicht zum ersten Mal. Schon in der Wirtschaftskrise und nach dem Terroranschlag in Frankreich, brach der Markt ein. Aus der Geschichte hat die Branche leider nichts gelernt.

Europäische Flusskreuzfahrer sahen sich mit drastischen Corona-Schutzmaßnahmen konfrontiert und verloren wohl auch die Lust auf eine entspannte Kreuzfahrt. Immerhin zählen besonders Flusskreuzfahrtgäste wegen ihrer Altersstruktur allein schon zur besonders gefährdeten Gruppe, die sich auch ohne Reisebeschränkungen Auslandsreisen gut überlegt. Was blieb, waren also ein paar beherzte Fahrgäste, die sich durch nichts abschrecken ließen und wenigstens ein paar Schiffen zum lichten der Anker verhalfen. Vor diesem Hintergrund kann die „positive Bilanz“ der Interessensvertretung, die im August gemeint hat, dass 30 Prozent der Schiffe wieder fahren, wohl nur als Schönreden bezeichnet werden. Die Flusskreuzfahrt 2020 ist was es ist, der Verlierer in der Binnenschifffahrt. Nicht viel anders, aber von einem unterschiedlichen Niveau ausgehend, erging es der Ausflugschifffahrt auf Flüssen und Seen. Allgemein kann man sagen, Fahrgebiete, mit einem hohen Anteil an ausländischen Touristen, schnitten vergleichsweise schlechter ab als jene, die mehrheitlich auf heimisches Publikum gesetzt haben.

Länder wie die Schweiz oder Holland, haben noch eine Sonderstellung innerhalb der Gruppe. Ihre Schiffe dienen nicht nur touristischen Zwecken, sondern werden auch im ÖPNRV oder Fährverkehr eingesetzt. Dieser Betriebspraxis verdanken die Reedereien, dass sie nicht noch schlechter abgeschnitten haben, als es ohnehin schon der Fall war. In Österreich, wo es keine Schiffe im ÖPNRV gibt, wurden Ausflugschiffe kurzerhand zum Massenverkehrsmittel ernannt und kamen so in den Genuss von gewissen Erleichterungen, die es in anderen Ländern, aber an vergleichbaren Orten, nicht gab.

Es herrschten also unterschiedlichste Regelungen innerhalb einer Branche, die manche Reeder ratlos machte. So durfte zum Beispiel ein Rundfahrtschiff für 10 Personen nicht fahren. Ein Motorboot auf Mietbasis für 10 Personen aber schon. Rundfahrt von A nach B wurden erlaubt, anlegen an Stationen unterwegs nicht. Maskenpflicht am Freideck mal Pflicht, mal Empfehlung. Strikte Reduzierung der Passagierzahl einerseits, Abstandsregeln einhalten als Empfehlung anderseits. Essen an Bord mal möglich, mal nicht usw. Wie in der Flusskreuzfahrt, traf Corona auch die Ausflugschiffe zu Saisonbeginn – endete aber nicht im Herbst zum üblichen Saisonende, weil viele Ausflugschiffe lange in den Herbst hinein, oder sogar das ganze Jahr durchgängig verkehren.

Diese Reedereien hatten zum Teil Glück im Unglück, aber auch nur Unglück, denn die durchgängig einzuhaltenden Coronaregeln reduzierten die ohnehin schon abgeschwächte Passagierfrequenz außerhalb der Hauptsaison noch mehr. Das hatte zur Folge, dass Fahrpläne mehrmals umgeschrieben werden mussten und/oder Kurse aus betriebswirtschaftlicher Sicht ganz gestrichen wurden. Quer über die Branche hinweg kann man davon ausgehen, dass die Betriebe mit einem Minus zwischen 50 und 60 Prozent abschneiden werden. In Zahlen heißt das, dass zum Beispiel die Schweiz mit einer sehr starken Ausflugschifffahrt, statt wie üblich um die 13 Mio. Fahrgäste, 2020 vielleicht noch rund 6 Mio. in die Statistik schreiben kann. Noch dramatischer klingt es, wenn Premiumdestinationen wie zum Beispiel der Starnberger See, statt 300.000 Passagiere, nur noch knapp über der 100.000 Marke liegt. Anders als in anderen Bereichen der Binnenschifffahrt, kamen Mitarbeiter der Ausflugschifffahrt relativ glimpflich davon. Kaum ein Betrieb wollte sich von Festangestellten trennen. Vereinzelt wurden Saisonarbeiter nicht oder nur teilweise beschäftigt und das Mittel der Kurzarbeit half über so manche Durststrecke.

Frachtschifffahrt.
Abgesehen von der Hafenwirtschaft, ist die Frachtschifffahrt ein Bereich, der 2020 relativ glimpflich davongekommen ist. Vielleicht war es in diesem Jahr auch ein Vorteil, dass die Frachtschifffahrt traditionell krisenerprobt ist und mit überfallsartigen Problemen besser zurechtkommt, als andere Wirtschaftszweige. Dabei sind witterungsbedingte und neuerdings klimabedingte Herausforderungen noch überschaubare Umstände, die Frachtschiffer einkalkulieren müssen. Auch die politische Ignoranz, die die Frachtschifffahrt regelmäßig ins Eck stellt, ist ein seit Jahrzehnten wucherndes Krebsgeschwür. Gefährlich sind auch die „hausgemachten“ Minenfelder. Da gibt es zum Beispiel die generelle Struktur der Frachtschifffahrt, die in der überwiegenden Form der genossenschaftlichen Verwaltung, kaum flexible und rasche Reaktionen zulässt.

Ganz abgesehen von der mangelhaften Innovationsbereitschaft, die ohne Eigenkapitalbasis auch mit großzügigen Förderprogrammen nicht verbessert werden kann. Hier lauert die Gefahr und wird teilweise schon schlagend, dass sich Verlader gar nicht mehr auf das Gewerbe verlassen, sondern eigene, maßgeschneiderte Strukturen aufbauen. Die Folge ist, dass Transportgut der Branche nicht nur aus politischen Fehlentscheidungen abhandenkommt, sondern auch, weil ganz andere Mitspieler auf den Plan treten. Unabhängig davon, aber verschärft durch Corona, ist die Tarifgestaltung in der Frachtschifffahrt zu sehen. Wenn Banken beispielsweise Unternehmen künstlich am Leben erhalten und ermöglichen, dass die Schiffe über lange Zeiträume nicht mal kostendeckend durch die Gegend fahren, hat das katastrophale Auswirkungen auf große Bereiche der Frachtschifffahrt. Ein nicht nur wirtschaftlicher Nonsens, sondern auch ein ökologisches Desaster ist es, wenn bankenfinanzierte Megaschiffe Ladungen herumführen, die auch in einem Schiff von der halben Größe leicht Platz finden würden. Zu allem Überdruss kommen noch Probleme mit überlangen Wartezeiten auf Abfertigung in den Häfen, die 80 Stunden und mehr betragen können.

Der Verlust angestammter Kohletransporte durch die Energiewende und hausgemachte Personalprobleme, komplettieren den Dornenbusch. Das alles hat und hatte 2020 nichts oder wenig mit Corona zu tun. Aber ja, natürlich hatte Corona auch unmittelbare Auswirkungen auf die Frachtschifffahrt. Auf der Ladungsseite allerdings in einem sehr unterschiedlichen Umfang was die Art der Ladung und das Transportgebiet betrifft. So gab es im Bereich der Agrarprodukte keine Rückgänge. Im Gegenteil. Auf manchen Fahrgebieten nahm die Transportmenge sogar stark zu. Auch flüssige Ladungsmengen (mit Ausnahme Flugbenzin) reduzierten sich kaum merklich. Reduktionen auf dem Treibstoffsektor durch den reduzierten Personenverkehr vielen kaum ins Gewicht. Der Treibstoffverbrauch im Transportbereich blieb sogar völlig unberührt.

Selbst der anfänglich reduzierte Containertransport, bedingt durch verminderten Import aus China, bewegt sich dank E-Commerce wieder fast im Normalbereich. Teilweise Rückgänge bei Erz- und Stahltransporten, waren bedingt durch reduzierte Industrieproduktion. Bei den für die Binnenschifffahrt wichtigen Baustoffen, hält sich der Rückgang wiederum in Grenzen. Insgesamt stärkere Auswirkungen hatte Corona auf die vielfach ohnehin angespannte Ertragslage durch sinkende Frachttarife. Das NL-Forschungsbüro Panteia errechnete teilweise nur noch einen Stundenlohn von 4 Euro bei den Partikulieren. Dort, wo in der Frachtschifffahrt Anspruch auf staatliche Coronahilfe bestand, beklagen Unternehmen die falsche Zielrichtung, denn viele Förderungen haben nur eine aufschiebende Wirkung für die Finanzprobleme. Dennoch, für manche Frachtschiffer brachte die Pandemie eine regelrechte Entspannung, weil es zum Beispiel am Main durch den Ausfall der Flusskreuzfahrt wieder wesentlich ruhiger und sicherer wurde.

Schiffbau/Zulieferung.
Der europäische maritime Technologiesektor, zu dem rund 300 Werften und 28.000 maritime Zulieferer in Europa gehören, war bereits in schlechter Verfassung, bevor COVID-19 in Kraft trat, sagt die europäische Gewerkschaft IndustriAll European Trade Union. Aber diese Industrie hat eine Schlüsselrolle in der Wirtschaft inne. 90 Prozent des globalen Handels läuft über die Schifffahrt. Damit ist die Schifffahrt neben der wirtschaftlichen Bedeutung, der Motor des globalen Handels, von dem maßgebliche Stimmen meinen, es ist Zeit für eine Ökologisierung. Durch die technologische Führerschaft kam die europäische Schiffbauindustrie bisher ganz gut über die Runden. Auch weil osteuropäische Werften zum günstigen Stahlbau beigetragen haben. Dennoch ist der Konkurrenzkampf mit ausländischen Werften sehr hart und China ist drauf und dran, ebenfalls in den High-Tech-Schiffbau – die Stärke europäischer Schiffbauer – vorzudringen.

Bernhard Meyer (Meyer Werft) kritisiert die falsche Wirtschaftspolitik in Europa. Trotz Corona gingen 60 Prozent der weltweiten Schiffbauaufträge zwischen Jänner und Anfang September 2020, teilweise subventioniert zum Nachteil der eigenen Wirtschaft, nach China. Deshalb sieht Meyer in der chinesischen und asiatischen Konkurrenz die viel größere Gefahr für den europäischen Schiffbau, als durch Corona. Noch sind die Auftragsbücher der Werften gut gefüllt, aber die Investitionsentscheidungen werden durch Corona bereits deutlich beeinflusst. Das ist besonders im Schiffbau gefährlich, weil es lange Vorlauf- und Planungszeiten bei Neubauten braucht. Und weil sich Corona besonders negativ auf die Passagierschifffahrt auswirkt, ist dieser Bereich auch im Schiffbau besonders gefährdet. Aber Corona ist eben nicht das einzige Problem der Schiffbauindustrie. Neben der Konkurrenz außerhalb Europas, gibt es bereits innereuropäische Konkurrenz durch ausländische Investoren. Der asiatische Multikonzern Genting Hongkong (GHK) zum Beispiel, erwarb 2015 zu günstigen Konditionen drei Werftstandorte (Wismar, Rostock, Stralsund) und versprach, dass bald Milch und Honig fließen wird. Aber schon zu Beginn der Pandemie nützte der Konzern die erste Gelegenheit, um an Steuergeld zu kommen und nahm das staatliche Kurzarbeitsmodell für einen Großteil der Belegschaft in Anspruch.

Inzwischen sind die Forderungen auf 700 Mio. Staatshilfe angewachsen und um die Asiaten bei Laune zu halten, wurden bereits erhebliche Summen zugesagt. Ob hier strategisch immer die richtigen Entscheidungen getroffen wurden, ist fraglich. Dieser Frage müssen sich auch osteuropäische Regierungen stellen, die für westeuropäische Auftraggeber praktisch die verlängerte Werkbank bilden. Einsparungsbestrebungen werden hier rasch umgesetzt. Binnenwerften haben zudem das Problem, dass es seit Jahren aus unterschiedlichen Gründen zu wirtschaftlichen Schieflagen gekommen ist.

Die Folgen? Für frische Investoren wird „Wohnen am Wasser“ oder ein Parkplatz für LKW attraktiver, als Schiffe zu bauen. Trotz Corona und trotz Kurzarbeit erfüllte die Neptun Werft 2020 noch ihr Plansoll. Die Werft, einer der wichtigsten Standorte für die Flusskreuzfahrt, konnte im Krisenjahr neben anderen Konzernaufträgen, noch sechs neue Flusskreuzfahrtschiffe abliefern. Sogar Serbien lieferte noch nach Plan. 2021 können trotz Planungsunsicherheiten noch Altaufträge abgearbeitet werden. Dann gilt, was für die ganze Branche gilt, es wird Zeit, dass die Pandemie und die falsche Wirtschaftspolitik ein Ende nehmen.

Fazit:
2020 war ein Jahr, das verglichen mit einem Schiff in arge Schräglage gekommen ist und jetzt bei stürmischem Wetter auf hoher See zu kentern droht. Über weite Strecken auf dem Weg zum Desaster war ein Kapitän am Steuer, dessen nautische Erfahrung sich auf einige Kreuzfahrten in der Badewanne beschränkt. Der bereits arg ramponierte Kahn treibt weiter führerlos durch die Untiefen. Zum Glück gibt es noch ein paar beherzte Matrosen an Bord. In ihrer Hand liegt das Schicksal des Schiffes und sie wissen, warum sie in die Lage gekommen sind und wie sie da wieder rauskommen können. Eine Rückschau hat dann ihren Zweck erfüllt, wenn wir im Rückblick erkennen, wohin die Zukunft gehen soll. Prognosen sind, wie wir wissen, schwierig – besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Halten wir uns daher lieber besser an die Gestaltung der Zukunft. Die beherzten Matrosen werden Hilfe brauchen. (PB)

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 1/2021

 

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