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Veränderungsmanagement & Arbeitssicherheit in der Binnenschifffahrt

Was ist eigentlich eine Veränderung? Schon der griechische Philosoph Heraklit stellte ca. 500 vor Christus in seiner Lehre vom Fluss aller Dinge fest: „Alles fließt“, d.h. „Alles bewegt sich fort und nichts bleibt.“

GASTBEITRAG: STEFAN POPPELREUTER.

Und was hat das mit der Arbeit in der Binnenschifffahrt zu tun? Auch hier gibt es einen permanenten Wandel. Neue Gefahren tauchen auf, neue Vorschriften werden gemacht, neue Techniken und Methoden nicht zuletzt in Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit etablieren sich. Die Mannschaften müssen aufgeklärt, befähigt, kontrolliert werden. Neuerungen werden dabei nicht immer sofort verstanden oder akzeptiert. Veränderungen erscheinen als unnötig, unbequem, lästig, hinderlich. Wie reagieren wir Menschen auf solcherlei Veränderungen? Welche Gefühle werden durch Veränderungen im Individuum hervorgerufen?

Veränderungen können durchaus positive Gefühle verursachen, weil so beispielsweise unangenehme oder sogar untragbare Situationen zukünftig vermieden werden können. Bessere Navigationsgeräte führt zu einem besseren Gefühl, faktisch auch zu einem besseren Schutz.

Neben positiven Gefühlen verursachen Veränderungen jedoch auch negative Gefühle, dabei wird jede noch so geringe Veränderung von Menschen zunächst einmal auf ihre Bedrohlichkeit hin überprüft. Diesen Sicherungsmechanismus hat die Evolution sozusagen in den Menschen „eingebaut“. Erst wenn der Mensch sicher ist, dass eine Veränderung nicht bedrohlich ist, wenden er seine Aufmerksamkeit anderen Aspekten zu – z.B. den potenziellen Vorteilen und Chancen von Veränderungen oder ihrer Nützlichkeit für eigene Interessen. Bedeutet also beispielsweise eine bessere persönliche Schutzausstattung an Bord (Schuhe, Helm, Handschuhe etc.), dass ich auch mehr Aufwand benötige, um diese anzulegen, zu reinigen oder auszutauschen, und wird dieser Aufwand nicht „erstattet“, beispielsweise in Form verlängerter Rüstzeiten, so werde ich die Veränderung mindestens skeptisch betrachten oder ganz und gar ablehnen.

Veränderungen – auch im Bereich des Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit – sind also mit Unsicherheit über die Zukunft verbunden und können als Gefahren und Risiken wahrgenommen werden. Daher können Mitarbeiter auf Veränderungen mit Misstrauen und Widerstand reagieren, d.h. sie können sich trotzig aktiv gegen Neues sträuben, indem sie neue Maßnahmen sabotieren oder schlechte Stimmung machen. Aber es geht auch anders: Mitarbeiter können genauso gut auf Veränderungen angebracht reagieren. Sie können aktiv neue Lösungen suchen, d.h. sie können agieren und nicht nur reagieren, oder sie können sogar im besten Falle proaktiv auf Veränderungen hinarbeiten bzw. Veränderung von sich aussuchen. Und genau hier setzt das Thema Veränderungsmanagement ein.

Warum ist Veränderungsmanagement wichtig?
Im Zeitalter von Globalisierung und Digitalisierung verändern sich Arbeitsplätze in nahezu allen Branchen auf mitunter sehr komplexe und dynamische Art und Weise. Dass solche Veränderungen sich auch auf den Arbeitsschutz und die Arbeitssicherheit und die in diesem Zusammenhang zu ergreifenden, zu überprüfenden und anzupassenden Maßnahmen haben, liegt auf der Hand. Daneben üben gesellschaftliche Veränderungen, wie der Wunsch nach Selbstbestimmung, Partizipation und Persönlichkeitsentfaltung einen starken Einfluss auf Betriebe aus. Die Folge ist, dass nahezu alle Organisationen – in welcher Branche auch immer – unter einem permanenten Veränderungsdruck stehen, die Häufigkeit, Anzahl und Bedeutung von Veränderungen sind gestiegen. Ein erfolgreiches Vorbereiten, Durchführen und Begleiten von Veränderungsprozessen ist also von großer strategischer Bedeutung, denn die Fähigkeit von Betrieben, sich rasch zu verändern und anzupassen bringt enorme Wettbewerbsvorteile mit sich. Im Bereich des Arbeitsschutzes- und der Arbeitssicherheit ist sie zudem mitunter zwingend erforderlich, weil rechtliche Rahmenbedingungen dies vorschreiben.

Was ist Veränderungsmanagement?
Unter Veränderungsmanagement (englisch Change Management) lassen sich alle Aufgaben, Maßnahmen und Tätigkeiten zusammenfassen, die eine umfassende, bereichsübergreifende und inhaltlich weitreichende Veränderung – zur Umsetzung neuer Strategien, Strukturen, Systeme, Prozesse, Verhaltensweisen, Denkmustern und Werte – in einer Organisation bewirken sollen.

Voraussetzungen für ein erfolgreiches Veränderungsmanagement.
Es lassen sich Veränderungsprozesse nur erfolgreich umsetzen, wenn folgende Faktoren im Betrieb berücksichtigt werden bzw. gegeben sind:

• Veränderungen – gerade im Bereich des Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit – müssen von jedem Mitarbeiter als persönliche Aufgabe verstanden werden. Nur wenn alle Mitarbeitenden von der Veränderung überzeugt sind und diese mittragen, kann es zu einem erfolgreichen Adaptationsprozess kommen.

• Verkrustungen müssen aufgebrochen und vermieden werden. Vor allem Haltungen wie „das haben wir ja noch nie so gemacht“ oder „da könnte ja jeder kommen“ (gerade im Rheinland sehr beliebte sogenannte „Killerphrasen“) sind massiv veränderungshinderlich.

• Es muss Toleranz gegenüber Instabilitäten und Fehlern herrschen. Jede Veränderung führt auch dazu, dass alte Routinen aufgegeben und neue Verhaltensmuster und Vorgehensweisen eingeübt werden müssen. So etwas braucht Zeit, Geduld und die Bereitschaft, auf Fehler tolerant zu reagieren.

• Eine Streit- und Lernkultur muss aufgebaut werden (oder bereits vorhanden sein). Veränderungsprozesse führen auch dazu, dass man eben nicht auf Erfahrungswissen zurückgreifen kann.

• Die Führungskräfte müssen als Förderer des Wandels einen aktiven Beitrag leisten. Wie so oft kommt dem Führungsverhalten in Situationen des Wandels und der Veränderung eine zentrale Bedeutung zu. Sie müssen den Wandel nicht nur vorbereiten, sondern auch kommunizieren, begründen, einleiten, umsetzen und vorleben.

•„Change Agents“ sollten als Missionare, Vorbilder und methodische Experten eingesetzt werden. Hierzu gehören die Fachkräfte für Arbeitssicherheit und die Arbeitsschutzbeauftragten ebenso wie Qualitätsverantwortliche.

Die 8 Aspekte des guten Veränderungsmanagements.
Auch wenn jedes Veränderungsprojekt individuell und einzigartig ist und von seinen Zielsetzungen, Rahmenbedingungen und beteiligten Personen her betrachtet und entsprechend strukturiert werden muss, so gibt es dennoch acht grundlegende Aspekte (neben einer klaren Zielsetzung und einer Auftragsklärung unter allen Beteiligten), deren Berücksichtigung den Erfolg einer Veränderungsmaßnahme zwar nicht garantieren, wohl aber befördern können.

  1. Bildung Projektteam/Steuerungsgruppe.
    Jeder Betrieb, das einen umfassendere Veränderungsprozess anstößt, sollte ein eigenes Projektteam oder eine Steuerungsgruppe einrichten. Zentral ist, dass alle Mitglieder dieses Teams den (bevorstehenden) Wandel als positiv erleben. Gerade im Bereich des Arbeitsschutzes ist es nicht immer leicht, „Überzeugungstäter“ zu finden. Entsprechende Aktivitäten werden häufig als lästig, kostentreibend, unnötig und störend erlebt. Umso wichtiger ist es, eine überzeugende und auch tatsächlich absolut priorisierte Sicherheitskultur auf einem Schiff oder im Bereich der Häfen zu entwickeln („safety first“).
  2. Entwicklung von Leitlinien.
    Bevor das Team inhaltlich zu arbeiten beginnt, sollte es sich auf Regeln verständigen, wie man innerhalb des Betriebs vor, während und nach der Veränderung miteinander umgehen möchte. Solche Regeln müssen unbedingt zu Beginn des Prozesses vorliegen und transparent sein, denn solche Leitlinien wirken den Sorgen und Ängsten der Beteiligten
    positiv entgegen. Ebenso wesentlich ist eine klare Formulierung der Ziele des Wandels, z.B. die Senkung der Anzahl von Verletzungen, Ausfalltagen oder Beinaheunfällen.
  3. Vernetzung.
    Da Veränderungsprozesse, insbesondere solche umfänglicherer Natur, immer mehr oder weniger große Teile der Organisation betreffen, ist eine bereichsübergreifende Verzahnung von Kompetenzen, Fähigkeiten und Ressourcen der betroffenen Bereiche unabdingbar.
  4. Festlegung von Verantwortlichkeiten.
    In jedem Veränderungsprojekt müssen Verantwortlichkeiten eindeutig festgelegt werden. Dies sollte klar und eindeutig geschehen, bevor der Veränderungsprozess gestartet wird, um so den Mitarbeitenden ein Gesamtbild über den geplanten Veränderungsprozess und eine Orientierung für die Zukunft zu geben.
  5. Zeitplanung.
    Die Festlegung von Zwischenzielen ist wesentlicher Bestandteil der Planung eines Veränderungsprozesses. Dabei sollte der zeitliche Aufwand von Veränderungsschritten (Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung) zur Effektivität der Maßnahmen im Verhältnis stehen.

Die Frage, wann welche Informationen an welche Zielgruppen gegeben werden, ist sorgfältig zu diskutieren und zu planen. Auf dieser Grundlage müssen zielgruppenspezifische Aktivitäten (Information, Partizipation, operative Umsetzung) – auch hinsichtlich ihres Ausmaßes und ihrer Frequenz – vorbereitet werden.

  1. Initiierung von Partizipation.
    Wo immer möglich sollte im Rahmen von Veränderungsprozessen eine maximale Beteiligung der Betroffenen an den verschiedenen Phasen bzw. Stufen des Veränderungsprozesses gewährleistet werden. So lassen sich Phasen der Unsicherheit verkürzen, die Gerüchtebildung wird verhindert und das Vertrauensverhältnis wird gestärkt.
    Ein gutes Beispiel hierfür ist die frühzeitige Einbindung der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Auswahlprozess von Teilen der persönlichen Schutzausstattung, denn diese muss von den Beteiligten künftig im Alltag zuverlässig genutzt werden.
  2. Einplanen von Flexibilität.
    Zwar heißt es, dass nichts so praktisch ist wie eine gute Theorie, aber man weiß auch, dass zwischen (theoretischer) Planung und (praktischer) Umsetzung in den seltensten Fällen eine 1:1-Beziehung besteht. Daher sollte die Planung von Veränderungsprojekten selbstverständlich richtungweisenden Charakter haben, aber es sollte auch zumindest mitgedacht werden, dass sie in der Umsetzung nicht immer hundertprozentig bindend sein kann.
  3. (Weiter-) Entwicklung der Organisationskultur.
    Veränderungsprozesse, deren erfolgreiche Umsetzung vor allem davon abhängt, dass alle im Betrieb „an einem Strang ziehen“, müssen auf eine entsprechende Unternehmenskultur aufbauen können, denn ansonsten erweisen sie sich allzu oft als „Rohrkrepierer“. Dies setzt voraus, dass man eine realistische Einschätzung der bestehenden Arbeitskultur, mithin eine Aussage über die Veränderungsfähigkeit und Bereitschaft des Betriebs und seiner Mitarbeitenden vornehmen kann. Zudem sollten Veränderungsprozesse unbedingt einer „Gewinner-Verlierer-Mentalität“ beraubt werden, was bei zahlreichen Veränderungsprojekten, speziell, wenn sie auf Effizienzsteigerungen abzielen oder aber ein „komplizierteres Handeln“ (wie es bei Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen häufig der Fall ist), nur schwerlich oder auch gar nicht möglich ist. Je mehr es gelingt, echte „Win-Win-Situationen“ zu schaffen, umso eher darf man auf eine erfolgreiche Umsetzung des Veränderungsprozesses hoffen. (SP)

    Quelle: Binnenschiff Journal 4/2020

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