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Volle Kraft zurück!

»Wenn die Dummheit nicht dem Fortschritt, dem Talent, der Hoffnung oder der Verbesserung zum Verwechseln ähnlich sähe, würde niemand dumm sein wollen.«

REDAKTION: PETER BAUMGARTNER.

Das hat Robert Musil 1931 vor dem Hintergrund der geschichtlichen Ereignisse gesagt und dann 1937 ergänzt, niemand wird zu bezweifeln wagen, dass die Welt auch seither weder Fortschritte noch Verbesserungen gesehen hat! Gleichzeitig hat Musil eingestanden gar nicht zu wissen, was Dummheit eigentlich ist. Aber wer kann dieses Wissen schon für sich in Anspruch nehmen? Versuchen wir also lieber, die Dummheit von der Vernunft abzugrenzen und stellen wir die Frage, ist es vernünftig Schiffe zu schreddern, deren Wert weit über die optische Erhaltenswürdigkeit hinausgeht?

Ist es nicht vernünftiger, Binnenschiffe – oder wenigstens das Erfahrungswissen dahinter, zu schützen und zu nutzen, statt neue Schiffe zu bauen, von denen man schon vorher weiß, dass sie Stangenprodukte sein werden. Auswechselbar bis ins Detail. Selbst wenn man die Namen dieser Schiffe untereinander austauscht, niemand würde es bemerken. Schiffe ohne Identität sozusagen und schon gar nicht erhaltenswürdig. Und niemand macht sich Gedanken darüber, dass selbst diese modernen „Kisten“ nur deshalb schwimmen, weil der Schiffbauer im Jahre 2020 sich des Wissens eines gewissen Archimedes bedient hat, der schon in der Antike „Heureka!“ gerufen hat. Unwillkürlich drängt sich die Frage auf, welche anwendbaren Erkenntnisse wird der Schiffbauer im Jahre 4000 vom heutigen Schiffbauer gelernt haben? Aber damit kein Missverständnis entsteht und die Kreativität der Schiffbauer generell geschmälert wird, meistens sagt der Kunde was er will und das ist – nach der Generalvorgabe möglichst viel Schiff um möglichst wenig Geld, selten kreativ.

Was ist erhaltenswert in der Binnenschifffahrt, was sollte man schützen? Die Begriffe für die Erhaltenswürdigkeit einer Sache im öffentlichen Interesse sind vielfältig. Welterbe, Kulturerbe, Weltkulturerbe, Weltnaturerbe, Weltkulturgut, Weltdokumentenerbe, Immateriellen Kulturerbe, Kulturgut, kulturelle Hinterlassenschaft, Industriekultur und Denkmal. Um wenigstens einigermaßen den Durchblick zu erleichtern, wird noch zwischen beweglichen und unbeweglichen Denkmälern unterschieden. Dennoch, ein Schiff passt offensichtlich nicht wirklich in eines der genannten Schemen.

Dafür wurde noch ein Begriff geschaffen – „Technisches Denkmal“. Dieser Begriff legt zwar fest, dass ein Schiff aus technischer Sicht erhaltenswürdig ist, schließt aber andere wichtige Gründe aus. Abgesehen von der technischen Bedeutung bei einem Schiff, könnte man zum Beispiel noch die Einzigartigkeit seiner Geschichte anerkennen. Legt man dem Begriff „Technik“ seine umfassende Bedeutung zugrunde, ließe sich ein Schiff in vielerlei Bereichen kategorisieren. Zum Beispiel im Bereich der Architektur oder Handwerkskunst. Zahlreiche Arbeitsabläufe (Erfahrungswissen) könnten sich auch im Immateriellen Kulturerbe abbilden lassen (wie das Wissen um die Flößerei an der oberen Drau). Auch das traditionelle Handwerk, hat in der Binnenschifffahrt viele Beispiele (Spleißen).
Der Begriffswirrwarr und die Einschränkung auf „Technisches Denkmal“ verhindert oft die Anerkennung von Schiffen als Kulturgut und entzieht sie somit oft dem Erbe im öffentlichen Interesse.

Kennen Sie berühmte Schiffe? Sicher werden Ihnen spontan gleich mehrere Namen einfallen. Darunter natürlich die Bounty wegen der Meuterei. Santa Maria dürfte Ihnen auch leicht von den Lippen gehen und Titanic sowieso. Einigen wird auch noch das Pilgerschiff Mayflower oder Pamir in den Sinn kommen. Was immer den Menschen unter berühmte Schiffe einfällt, alle sind irgendwo auf den Weltmeeren zu verorten. Fragt man nach berühmten Binnenschiffen, kommt bestenfalls die Ulmer Schachtel ins Spiel. Erst nach längerem Nachdenken, oder bei Leuten, die im Leben etwas herumgekommen sind, fallen Namen wie die Belle Époque-Flotte mit dem Dampfer Genève ein, auf dem Kaiserin Sisi bis zu ihrem Tod den Genfersee befuhr. Ein kleiner Kreis dürfte auch noch Reiseerinnerungen an die berühmte Dampferflotte von Dresden oder von Prag haben. Um Schiffe wie den Donaudampfer Schönbrunn zu kennen, muss man schon ein gehobeneres Alter haben oder Fan von alten Wachau Filmen sein.
Noch weniger bekannt als die berühmten Passagierschiffe auf Flüssen und Seen, sind historische Frachtschiffe auf Binnenwasserstraßen, deren einstige Bedeutung längst vergessen ist. Dabei sind es gerade diese historischen Frachtschiffe gewesen, die einst, als die österreichische Flagge im gesamten Donauraum noch die erste Geige spielte, zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und seiner Industrie wesentlich beigetragen haben. Diese Schiffe waren nicht nur schön, sondern auch einzigartig und erfüllten hohe Anforderungen.

Ein wichtiges Kriterium für Frachtschiffe auf Flüssen ist seit jeher ein möglichst geringer Tiefgang, um auch bei Niederwasser einsatzfähig zu sein. Derzeit wird in einem 8 Mio. Euro-EU Förderprogramm nach einem Frachtschiff mit möglichst geringem Tiefgang gesucht. Die versammelte europäische Intelligenz ist gefordert. Dabei will man sich schon mit einem Tiefgang von 1,50 Meter zufriedengeben. Aber das berühmte Frachtschiffe CAECILIA (Baujahr 1914), konnte zum Beispiel schon vor mehr als 100 Jahren mit nur 1 Meter Tiefgang fahren. Alle diese großartigen Schiffstypen, von denen einige sogar noch um 1970 fahrtüchtig waren, sind modernen Schiffen zum Opfer gefallen.

Heute weiß man, dass die modernen Schiffstypen hauptsächlich den Shareholdern dienen und oft große Infrastrukturschäden verursachen, die der Steuerzahler begleichen muss. Zum Glück gibt es einige ambitionierte Modellbauer, die in der Lage sind, die Besonderheiten der historischen Frachtschiffe zu dokumentieren, um so für die Nachwelt Werte zu erhalten. Ganz wenigen Vereinen ist es geglückt, ein paar historische Frachtschiffe original für museale Zwecke zu erhalten. In Regensburg gibt es zum Beispiel seit 1984 noch das ehemalige DDSG-Schleppschiff ÉRSEKCSANÁD ex Name RUTHOF (Baujahr 1922/23). Auch dieses Schiff hatte trotz seiner Größe nur einen Meter Tiefgang und wurde 1979, nachdem es 12 Jahre auf dem Grund der Donau gelegen war, vor der Verschrottung gerettet. Heute erzählt das liebevoll restaurierte Schiff begeisterten Touristen die Geschichte der Donauschifffahrt und steht in der Denkmalliste – in Bayern, nicht in Österreich.

Weniger Glück hatte der Donaudampfer Johann Strauss. Ein Schiff, dessen Entstehung bis auf das Jahr 1853 zurückreicht und das man auch als „Schiff des Theseus“ bezeichnen könnte. Mehrmals umgebaut in Budapest und in Linz, als die dortige Werft noch den Namen Stabilimento Tecnico trug, gibt es kaum ein Schiff, mit einer derart wechselvollen Geschichte. Lange galt das Schiff als luxuriösester Donaudampfer und wurde deshalb auserkoren 1952, die Wiedereröffnung der Linienschifffahrt von Linz nach Wien aufzunehmen – dort, wo sich zur Zeit der Besatzungszone die längste Brücke der Welt befand („Sie beginnt in Washington und endet in Sibirien“ / Bgm. Heinrich Gleißner). Bis 1972 genossen hunderttausende Passagiere auf diesem Schiff unter rot-weiß-roter Flagge die Landschaft zwischen Passau und Wien. Danach begann ein beispielloses und historisches Drama, das als eiserner Schrotthaufen 2019 in Komarno endete, wo das einstige Flaggschiff regelrecht in Stücke gerissen würde. Dabei sah es kurz vorher noch so aus, als würde die Stadt Wien dem stolzen Schiff noch eine würdige Funktion als Restaurant im Herzen der Stadt geben. Doch anscheinend überwiegt trotz Corona das Bedürfnis nach Partymeile und Clubdisco.

Vor dem Hintergrund einer derart wertelosen Spaßgesellschaft, hat Kultur und Geschichte kaum noch Platz. So war der Donaudampfer am Ende für die zuständige Umweltstadträtin Ulli Sima nur noch ein „Schandfleck“, der entfernt gehört. Folglich war die tatsächliche „Entfernung“ für die SPÖ-Frontfrau dann „ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk“. Hier endete 2017 die 164-jährige Geschichte eines Schiffes, von dem der Schrottgutachter angesichts intakter Intarsien noch sagte, dass das Schiff ein Unikat darstellt, dessen Wert „relativ schwer feststellbar“ sei. Unter dem Strich blieb dann ein Zeitwert von 0 Euro und ein Schrottwert von 20.000 Euro für ein kulturelles Erbe, dass keine Chance bekam, als lebender Zeuge unserer gesellschaftlichen Entwicklung erhalten zu bleiben.

Übrigens, eng verbunden mit der Geschichte des Dampfers Johann Strauss, ist auch die Geschichte des legendären, 1805 gegründeten Schweizer Unternehmens Escher Wyss, welches heute mit Siemens und Andritz verknüpft und weltweit für hervorragende Schiffe und eigene Schiffsdampfmaschinen bekannt ist. Das älteste aktive Escher Wyss Dampfschiff „Greif“ (1895) befindet sich noch immer auf dem Greifensee. Erster und bester Kunde dieser Firma war Österreich bereits im Jahre 1849.

Eine Escher Wyss Dampfmaschine spielt auch in der Geschichte des Dampfers Johann Strauss eine Rolle. Wie in diesem Fall, endeten viele Escher Wyss Schiffe und Dampfmaschinen unrühmlich. 1978 schrieb die Neue Zürcher Zeitung wehmütig: In Zürich gebaut – im Ausland versenkt. Übrig blieb der klangvolle Name Escher Wyss, der über Jahrzehnte die technische Entwicklung der Schifffahrt weltweit geprägt hat. Ein Forschungsprojekt über diese historische Geschichte steht an der Universität Bern kurz vor dem Abschluss.

Vor diesem Hintergrund klingt das Motto zum diesjährigen „Tag des Denkmals“ etwas wie eine Themenverfehlung. „Bauen & bilden“ sollte eher heißen, „schreddern & vergessen“. „Der Tag des Denkmals 2020 ist Orten gewidmet, an denen überlieferte Tradition am Leben erhalten wird und an denen Einzigartiges entstanden ist. Die Verknüpfung zwischen dem Schaffen und dem Stellenwert der Denkmale sowie der Bildung und Wertschätzung der Bevölkerung ist uns im heurigen Jahr ein besonderes Anliegen“, sagen die Veranstalter. Ziel ist es, die Öffentlichkeit für die Bedeutung des kulturellen Erbes zu sensibilisieren, dieses erlebbar zu machen und Interesse für die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege zu wecken.

Was die Binnenschifffahrt betrifft, wurden diese Ziele bisher jedenfalls gründlich verfehlt. Gerade mal 4 (vier) Schiffe (die Dampfer Gisela, Thalia, Schönbrunn und der Güterkahn 10065) und das Hundertwasser Segelschiff „Regentag“, mit dem der Künstler die Weltmeere bereist hat, sind unter „Technische Denkmale“ gelistet. Abgesehen von zwei großartigen Bodensee Schiffen, gibt es nicht mehr viel Schützenswertes in der österreichischen Binnenschifffahrt, denn die großen und bedeutenden Exponate, insbesondere in der Kategorie Frachtschiffe, wurden längst alle geschreddert.

In der Passagierschifffahrt verdienen die beiden Bodensee Schiffe „Hohentwiel“ (1913) und „Oesterreich“ (1928), eine besondere Hochachtung. Sie sind jedes für sich, beeindruckende Zeitzeugen ihrer technischen Epoche. Hohentwiel das Escher Wyss Dampfschiff und „Oesterreich“, das erste Motorschiff am Bodensee, verbindet ein gemeinsames Schicksal. Sie wurden von zahlreichen Schifffahrts-Enthusiasten buchstäblich in letzter Minute vor der Verschrottung gerettet und mit unglaublicher Leidenschaft und handwerklichem Geschick wieder zu dem gemacht, was sie heute sind: Zwei großartige Binnenschiffe, die alle Passagiere in Begeisterung versetzen und unübersehbare Leuchttürme für den heimischen Tourismus darstellen. Wer möchte, kann die beiden Fördervereine (hohentwiel-verein.com und Förderverein Museumsschiff Oesterreich) bei ihren großen Herausforderungen unterstützen. Natürlich soll man auch jede Gelegenheit nützen, und die zahlreichen Bordprogramme bei der Historischen Schifffahrt Bodensee buchen
(www.hs-bodensee.eu/). (PB)

Quelle: Binnenschiff Journal 5/2020

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