Wir sitzen alle in einem Boot

Das ist eine beliebte Metapher in den Medien. Auch andere schiffige Begriffe müssen oft herhalten, damit Journalisten einen Bedeutungszusammenhang erklären können. Das sinkende Schiff oder Kapitän zum Beispiel.

REDAKTION: PETER BAUMGARTNER.

Man glaubt es kaum, wofür der Kapitän im Journalismus alles taugt. Im Sport sowieso, aber auch in der Wirtschaft, in der Politik und sogar in der Kunst. Und neuerdings gibt es sogar ein Medienschiff, weil man „anders sein will“ und mit dem Schiff Kurs auf 100 Prozent Journalismus nehmen möchte. Deshalb muss der Kapitän jetzt im Regierungsviertel „patrouillieren“. Kein Medienarbeiter kommt ohne den Kapitän zu seinem Beitrag. Dabei zählt die Berufsbezeichnung Kapitän eigentlich zu den geschützten Titeln und die falsche Verwendung steht sogar unter Strafandrohung.

Das hindert aber keinen Journalisten daran, alle möglichen Verbindungen herzustellen. Selbst dann, wenn jeglicher Zusammenhang fehlt, der Kapitän in der Schlagzeile klingt immer gut. Warum das so ist, liegt bei näherer Betrachtung wohl darin, dass die Schifffahrt und speziell die Binnenschifffahrt in den Medien, wenn überhaupt, nur ein Randthema ist und die fachliche Kompetenz weitgehend fehlt – mit einer Einschränkung.
Immer dann, wenn etwas „passiert“, wird die Binnenschifffahrt auch zum medienübergreifenden Thema. Tote, ein Schiff und ein Kapitän sind immer die Ingredienzien für eine „blutige“ Schlagzeile. Dabei hätte die Binnenschifffahrt viele brandheiße und aktuelle Themen, die täglich diskutiert werden könnten. Die Logistik zum Beispiel. Aber auch Themen, die gemeinhin unter Wirtschaft, Politik und sogar Boulevard fallen würden, gibt es in der Binnenschifffahrt ausreichend zu besprechen.

Nun ist schon klar, dass nicht jeder Journalist einen Pulitzerpreis anstrebt oder gar bekommen kann. Aber wenn es stimmt, dass die Presse das moralische Werkzeug ist, durch welches mehr Korruption und Verbrechen vereitelt wird, als durch Gesetze, dann ist das zumindest was die Binnenschifffahrt betrifft, ein Fake. Es reicht nicht aus, Pressefreiheit nur zu fordern, man muss schon auch danach leben – selbst wenn einem die Inserenten im Genick sitzen. Wenn die Medienförderung jedoch nur eine Belohnung für das Tragen eines Maulkorbes und Inserat Vergütung Schweigegeld ist, sollte man wenigstens den Mut haben zu sagen, ja uns reicht die Information aus dem Newsroom und was noch fehlt liefert uns eh die Nachrichtenagentur. Die oft geäußerte Kritik, dass auch „Qualitätsmedien“ nur abschreiben, löst regelmäßig einen Protestschrei derselben hervor. Aber, Analysen komplexer Zusammenhänge werden zusammen gegoogelt und abgeschrieben, wenden Oppliger/Nagy ein.

Und wenn von „Mikrofonständern auf zwei Beinen (Florian Klenk) oder von „gekauften Journalisten“ (Udo Ulfkotte) die Rede ist, wird schon nicht alles „super sauber“ sein, was da in den Redaktionen abläuft. Selbst der Medienberater Peter Plaikner gibt zu bedenken, „viele Medieninhalte entspringen nicht dem Journalismus“. Auch das Medienmagazin ZAPP stellt einschränkend fest, „Gemeinschaftsredaktionen mehrerer Zeitungen und auch Nachrichtenagenturen, die einen hohen Ausstoß an Exklusivmeldungen generieren wollen, wirken wie listig gewonnene Komplizen“ (Anm.: von Politikern).

Was vielleicht auch wieder gar nicht so verkehrt ist, denn Leute, die nicht mehr selber denken können/wollen/dĂĽrfen, landen womöglich auch beim Abschreiben gelegentlich einen Treffer. Anderseits gelten Regierungen, Politiker und Parteien – amtlich bestätigt – gemeinhin als die Hauptverdächtigen bei Falschmeldungen. Was also soll da an substanziellen Informationen herauskommen? Ăśberraschend ist doch, mit welcher Selbstherrlichkeit trotz aller Vorbehalte und berechtigter Kritik, manche Journalisten ihr „Ergebnis“ verteidigen und manchmal sogar unter Androhung von Klagen auf Kritik reagieren. Dabei lautet schon die interne Kritik, „wir haben unsere demokratiepolitische Relevanz verspielt“ (Sebastian Krause) und die „Qualitätsmedien verstecken sich vor ihrem Publikum und vor dem Diskurs“.

Genau das passiert nämlich, wenn zum Beispiel eine Redakteurin entwaffnend meint, falsche Darstellungen über die Binnenschifffahrt sind in der von ihr gewählten inhaltlichen Berichterstattung nicht relevant und Fakten sind sowieso nur Fachmedien vorbehalten. Sie will damit ausdrücken, wenn es ihr nur um einen beabsichtigten „Wohlfühlbericht“ über einen Hafen ging, können die Aussagen über die Binnenschifffahrt darin ruhig falsch sein. Das ist dann, falsch hin oder her, für sie einfach nicht wichtig. Viel kann man dazu – ohne despektierlich zu werden – nicht anmerken.

Selbst das Flaggschiff der österreichischen Medien, der ORF, hält es für nicht so tragisch, wenn Inhalte aus der Binnenschifffahrt eindeutig falsch dargestellt werden. Mehr noch, der zuständige Chefredakteur hielt eine Gegendarstellung sogar als politisch motivierte Kritik und außerdem gar nicht relevant. Wenn aber ein Chefredakteur entscheiden darf, in welchem Format Wahrheiten berichtet werden müssen und wann nicht, hört sich der Gurkenhandel auf. Und wenn die verfügbare Sendezeit über wahr oder unwahr entscheiden kann, dann wird es bedenklich. Dann muss sich der mündige Medienkonsument nämlich die Frage stellen, wo hat sich der verantwortliche Chefredakteur aus Zeitmangel noch überall gegen die Darstellung von Fakten entschieden?

Und vielleicht sind angeblich triviale Gründe zur Wahrheitsabsenz nur vorgeschoben. Immerhin hat auch die Journalistin Föderl-Schmid eine gewisse „Beißhemmung“ unter ihren Kollegen/Kolleginnen registriert und nachvollziehbare Erklärungen für dieses Verhalten geliefert. Typisch und nahezu medienübergreifend gleich lückenhaft, wird über Unfälle in der Binnenschifffahrt berichtet. Da wird oft besonders deutlich sichtbar, dass alle von einer (falschen) Agenturmeldung abschreiben und keinerlei eigene Recherchen durchführen, aber jede Menge eigene Meinungen verbreiten. Jüngstes Beispiel ist der schwere Unfall in Budapest, wo ein Ausflugsschiff mit einem Kreuzfahrtschiff kollidiert und das kleinere Schiff in der Folge gesunken ist. Personen sind ertrunken und mehr als ein Jahr nach dem Unfall, fehlt von einer Person noch immer jede Spur.

In diesem Fall wird in allen Medien die Linie der ungarischen Berichterstattung – der Kapitän ist schuld – nachgeplappert. Obwohl es sonst durchwegs Vorbehalte gegenüber ungarischen Medien gibt, macht sich hier niemand die Mühe, eigene Recherchen zu starten. Selbst vor Ort befindliche Auslandskorrespondenten, verlassen sich plötzlich auf die angeblich „gesteuerten Orban Medien“. Dabei gibt es gerade in diesem Fall zahlreiche Indizien auf Ungereimtheiten, die selbst ein Blinder sehen muss. Das wirklich Bedrohliche an den oben beschriebenen Zuständen ist, dass genau diese handelnden Personen am Redaktionscomputer emsig davor warnen, dass die Demokratie in Gefahr ist, wenn die „vierte Gewalt“ kritisiert, nicht mit Steuergeld am Leben erhalten, sondern ständig geschwächt wird. Könnte es sein, dass sich in den Redaktionsstuben eine eigene Interpretation von Demokratie verfestigt hat, die gar nicht erhaltenswürdig ist? Manchmal, wenn der Innovationsgeist keine Veränderung mehr bewirken kann, ist ein disruptiver Zugang vielleicht die einzige Alternative, um wirklich Qualitätsjournalismus zu fördern.

Zur Ehrenrettung der Medienarbeiter kann man abschließend anmerken, dass die Branche Binnenschifffahrt selber ein gerütteltes Maß an Mitschuld über falsche, mangelhafte oder gar nicht vorhandene Berichterstattung trägt. Wer nicht proaktiv, konsequent und ehrlich informiert, darf sich über schlechte Medienarbeit nicht wundern. Gelegentlich wird die Öffentlichkeitsarbeit erst wirklich aktiv, wenn die Kacke sozusagen schon am Dampfen ist. Von Glück können dann jene reden, hinter denen Institutionen stehen, die sich ohne Vorbehalte „wir machen Schifffahrt möglich“, auf die Fahne geheftet haben. (PB)

Quelle: Binnenschiff Journal 4/2020

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